Bismarck und
sein Werk
Moritz Busch
BISMARCK
UND SEIN WERK
BEITRÄGE
IltKEHEH GESCHICHTE DER LETZTEN JAHRE 81S liäf
NACH TAGKIilK HSlil. \T IT:k.\
MORITZ BUSCH
ERSTES BIS VIERTES TAUSEND.
LEIPZIG
VERLAG VON S. HTRZRI.
Das Kotlil ilcr L'diuijut/.un^ ist vi>r!ii->uiiti;ii.
Digitized Oy Google
- 9 &
Vorwort.
Mein Tagebuch erzählt unter dem Datum des 2 1 . März
]8ai aus Friedrichsruh: „Nach Tische, beim Zeitungslesen,
bemerkte der Chef — ich weiss nichl mehr, durch was
veranlasst — ; „Büsch lein wird einmal, lange nach meinem
Tode, eine, innere Geschichte unserer Zeit nach guten
Quellen schreiben." — „Ja, Durchlaucht," antwortete ich,
..üt.idi nicht eine eigentliche Gesehichie — das kann ich
nicht — wohl aber eine ZLi^iinmenitcKiinji von yutem,
zuverlässigem Material dazu, gewissenhaft: gesammelt und
richtig beleuchtet, und nicht lange nach Ihrem Tode,
den wir selbstverständlich so fern als möglich wünschen,
sondern dann sofort, ohne Verzug; denn der Wahrheit
kann in diesen faulen Zeiten nicht bald genug zu ihrer
Ehre verholfen werden."
Der Fürst sagte in dieser Sache nichts weiter. Ich
aber hatte das zuverlässige Material in meinen über mehr
als zwanzig Jahre sich erstreckenden, fast durchgehends
unmittelbar nach Begegnungen und Gesprächen mit dem
Klinker nie;iers;esc:ine!.'enei] Tuijdetclis.Wiiilern . neljs'.
Das Schicksal genialer und heroischer Geister ist
zuweilen , von ihren Zeitgenossen entweder überhaupt
nicht oder erst spät und dann nur von der Minderzahl
begriffen und gebührend gewürdigt zu werden. Das ist
aber im Grunde eine ganz natürliche Erscheinung. Solche
Geister sind eben „nicht von dieser Welt", einzige Grössen
der Vernunft und Willenskraft, Ausnahmen von der Regel.
„Alles Grosse und Gescheite", sagt Goethe, „existirt in
der Minorität. Es ist nie daran zu denken, dass die
Vernunft populär werde. Leidenschaften und Gefühle
mögen populär werden, aber die Vernunft wird immer
nur im Besitze einzelner Vorzüglicher sein."*) Der
Genius, der Heros ist nach seinem Wesen und seinen
Wegen für die breite Masse , in der er auftritt , ein
Fremder; er empfindet und sieht, denkt und strebt an-
ders als die Mehrheit der Menschen, die ihn beim Be-
ginn seiner Laufbahn umgeben, er urtheilt, sie um Kopfes-
länge überragend und ho ihren Horizont überschauend,
über dem, was sich die öffentliche Meinung, den Zeit-
geist, neuerdings nach demokratischer Afterphilosophie
»] Eikermann, (lesprächc mit Goethe, 4. Aufl. II, 44.
gebildet li.it. Er verletzt endlich vielfach auch das, was
sie als ihr Interesse zu beiiT.dnei! gewohnt ist. So ge-
schieht es, dass die Idee, die sich in ihm verkörpert, die
Ziele, die er verfolgt, die Aufgaben, die er zumuthet,
nicht nur jahrelang unverstanden bleiben, sondern zugleich
oft als etwas Unbequemes, Feindseliges und Verwerf-
liches empfunden werden. „Man kann", bemerkte Goethe
einmal zu Eckermann, „kaum etwas aassprechen, was
dem Eigendünkel und der Bequemlichkeit schmeichelt,
um eines grossen Anhanges in der mittelmässigen Menge
gewiss zu sein."*) Der geniale und heroische Geist thut
das Gegentheil und kann des Gegentheils sicher sein,
bis lange Erfahrung, bis oft sich wiederholender Erfolg
ihm bei der Men^e keehv yeben. Wohl bewundert man
bald seine Ungewiihnlichkeit , ubschem sie Vielen zu-
weilen an Unheimlichkcit grenzt, wohl muss man seiner
Sicghaftigkcit mit der Zeit den Tribut der Achtung
zollen; aber daneben regt sich fort und fort der Neid
über die Macht, die er ausübt, und der Verdruss, dass
er trotz der Irrthümer, die man alle Tage an ihm tadeln
zu müssen wähnt, und trotz des schweren Schadens, den
er angeblich stiftet, so gross ist. „Stets kriecht der Neid
die Grossen an", klagt der Chor im sophokleischen Ajas.
Das Grosse ist eben den Meisten unsympathisch, sie
haben keine Ader, es iitiiiiifringeii und um;ei.beilf zu ver-
ehren, sie können es nicht einmal dulden, sie müssen
es hassen und dagegen frondiren , auch ohne weiteren
Grund, aber immer „von Rechts wegen".
Digitized Oy Google
— 3 —
Vergleichen wir mit dieser Betrachtung das Ver-
halten des Publikums gegen die beiden letzten Genien
und Heroen unsers Volks: Goethe und Bismarck.
Goethes Leben erstreckte sich über mehr als acht-
zig Jahre, und bis zum Ende dieser langen Periode, ja
noch in unsern Tagen ist von Beschränktheit und Partei-
geist immer von Neuem sein Name verunglimpft und
sein Schaffen falsch verstanden, getadelt und bekämpft
worden. Er selbst sagt über seine Feinde, dass dieses
Geschlecht nie aussterbe, und dass ihre Zahl Legion sei.*)
„Eine ansehnliche Masse bilden dabei die -Gegner aus
Dummheit-", die ihn nicht verstanden und ihn tadelten,
ohne ihn zu kennen. Eint; zwi-it ;'■ grosse Menge sind die
Neider, die ihm die ehrenvolle .Siedlung nicht gönnen,
die er sich durch sein Talent erworben hat. Ferner
kummen dazu die, „welche aus Mangel an eigenem Suc-
cess seine Gegner geworden sind und ihm nicht ver-
zeihen können, dass er sie verdunkelt, obwohl sie be-
gabte Talente sind". Eine vierte Klasse, die er als
„Gegner jus Gründen" bezeichnet . da sie wirkliche
Schwachen und Fehler seiner Schrillt*!) schellen, lerleUl
ihn am wenigsten, weil er, beständig fortschreitend und
höher strebend, oft die Fehler schon abgelegt hat, die
sie ihm vorwerfen. „Sie schössen nach mir, wenn ich
schon meilenweit entfernt war." Endlich führt Goethe
noch Gegner „aus abweichender Denkungsweise" an.
„Meine ganze Zeit wich von mir ab; denn sie war ganz
in subjektiver kichum« begriffen, wahrend ich in mei-
nem objektiven Bestreben im Nachtheile und völlig allein
Man vergleiche zu den nächstfolgenden Seiten den
J) Eckcnmnn. Gespräche 1, lOJ.
Digitized Oy Google
zweiten Abschnitt von Victor Hehns „Gedanken über
Goethe", denen sie in einigen Stücken wörtlich ent-
lehnt sind.
Beim Erscheinen der ersten Werke Goethes, des
Götz und des Werther, beherrschte die gebildete Schul-
poesie nach Form und Inhalt, sprachlich und stofflich,
die deutschen Schöngeister und die Lese weit. Der
Dichter sollte im Dienste der Tugend stehen; für die
künstlerische Schönheit an sich hatten die Wortführer
der Mi;ns, r ü schlechterdings weder Augen noch Verständ-
nis!. So ^rscniih es denn, dass die beiden Schapfiingen
wie plötzlich aus flachem Lande aufgestiegene Vulkane
wii l;ten. Sie ri<?:i.:n bei Allen Staunen, bei Y?elen Schrecken,
bei Manchen geradezu Abscheu hervor. Der Berlichingen
schlug allen Regeln des Aristoteles ins Gesicht und sollte
nicht aufzuführen sein. Nach Leasings Meinung war er
nur ein in Gesprächsform gebrachter Lebenslauf, kein
Drama. Friedrich der Grosse erblickte in ihm „eine ab-
scheuliche Nachahmung der Engländer (Shakespears) voll
ekelhafter Albernheiten, verfasst wie für die Wilden Kana-
das". Hmiii.i (iatotti wurde ihn: 'Avil vee gezogen. Nui
die Stellen des Stückes, die sich dem Rührenden oder
dem Gespannten näherten, würden von der Kritik gelobt.
Die energische Lebens Wirklichkeit des Ganzen empfand
man nicht, und ebensowenig bemerkte jemand, dass hier
der Ucbergang eines älteren Kulturzustandes und Staats-
lebcns in ein anderes Zeitalter dargestellt war, und dass
die eigentliche tragische Substanz des Stückes darin liegt,
dass die untergehende Welt als die edle, menschliche,
mitleida werth e erscheint, die aufgehende dagegen als die
böse und hass ens würdige , während sie doch das histo-
rische Recht auf ihrer Seite hat. Noch blinder stand die
grosse Mehrheit des Publikums vor Werthers Leiden.
Digitized Oy Google
Der Held ist Iiier ein ausschliesslich idealistisch angelegter
Charakter, der unmittelbar nach dem Unendlichen greift,
ohne es innerhalb der Schranken und Bedingungen, wo
es :\ich allem verwirklicht . fassen ™ können. Er zeigt
uns, dass eine schwärmerische Gemüthsart wie die seine
in logischer Verkettung abwärts zur Selbsfcjerstörung
führt. Obwohl ein edler und reicher Geist, will und
vermag er nichts Bestimmtes, jede greifbare Wirklich-
keit engt ihn ein, die Welt wird ihm zur Schranke und
Fessel; sein Ich gilt ihm Alles, und er folgt ihm in
Allem, im Verkehr mit Menschen, in Amtsgeschäften,
auch in der Liebe. Aber sein unbegrenztes Streben
aus der Niedrigkeit der Dinge , in der die Alltags-
menschen sich wohl befinden, lässt ihn ohne Frucht und
Frieden, und da die Welt nicht zu verneinen ist, so
muss das Ich weichen. Wie hätte eine solche Entwicke-
lung, wie hätte der Dichtei ^enius , der hier von eignen
Seelenzuständen erzählte , damals verstanden werden
können? Man hatte ja selbst niemals Aehnliches erlebt
und erstrebt wie der Held des Romans , nie 'tiefere Be-
dürfnisse gehabt, das Ideale war diesem Zeitalter nur in
der Form des Tugendhaften fasslich, die künstlerische
Meisterschaft des Verfassers entzog sich den Blicken der
Beurtheiler, die nur die schlechte Moral sahen, die er
vortrug; die ] lo^tisciio Darstellung , die nur sich selbst
zum Zwecke hat, war ein unbekannter Begriff, und so
verwarfen <">r(.hoik'Ni: wie der I l.unimi gel f'aslui' Gticw:
und Aufklärer wie der Berliner Nicolai das Buch mit
Reicher Entschiedenheit.
Nach der Ansicht der meisten Kritiker war es eine
Empfehlung des Selbstmords und eine Art Leitfaden
dann, um gefährlicher, als der Verfasser mit liebens-
würdigen Eigenschaften ausgerüstet war, und umso gott-
— B —
loser , als er .sich offenbar vorgesetzt harte, die Jugend
durch süsses Gift zu verführen. In Leipzig wurde infolge
dessen die Vcrbrcii.img und das Lesen des Buches auf
Antrag von Professoren der Universität durch die kur-
fürstliche Bücherkommission bei 10 Thalern Strafe ver-
boten. Dr. Erncsti, der Dekan der theo logischen Fakultät,
schrieb der erwähnten Kommission, dass der Roman in
witziger und angenehmer Form den Selbstmord empfehle,
was schwachen Leuten gefährlich werden könne. Dr. Behl,
der von der Universität erwählte Bücherkommissär, gab
sein Votum dahin ab, dass der Verfasser „durch seine
witzige und feine Art ordentlich liinrcis.se , so dass er
jungen Leuten von ungeübten Sinnen und dickblütigen
Personen gefährlich werden könne". Obwohl das Buch
schon so weit verbreitet sei, dass ein Verbot zu spät zu
kommen scheine, so empfehle er ein solches doch. In
Berlin half sich dei gesunde .Mcnsehenvci stand, der dorl
leuchtete, mit spöttischen Nachahmungen des Romans,
dessen Poesie hier als Schwärmerei aufgd'nssi. wurde, die
mit Unsinn und Finsterniss verwandt war. Lessing er-
klärte ihn Tür eine missrathene Biographie, deren Ver-
fasser, wenn er je zu Verstände käme, nicht viel mehr
ah ein gewöhnlicher Mensch sein würde. Selbst die, die
sich ohne Skrupel hinreissen Hessen, wie Schubart und
Heinse , eigneten sich das Kunstwerk nicht zu freiem
ästhetischem Genüsse an, sondern schwelgten in Gefühlen
und beweinten den Schalten des Unglücklichen. Es war
die durch Rousseau und Richardson in die Mode ge-
kommene Empfindsamkeit, der Werther eine neue er-
wünschte Gabe war, und deren höchste thränen bethaute
Bliithe sich in Millers Siegwart entfaltete. Nicht weniger
abfällig als Lessings Urthcilc über die Erstlinge Goethes
lauteten Klopstocks Aeusserungen über nachfolgende
Digitized ö/ Google
Schöpfungen des Dichters. Allezeit erhaben und würde-
voll fand er, dass bei Hermann und Dorothea der Stoff
bedauerlich plebej sei , dass hier alle neun Musen für
die Dorfschenke gesun^e-m hatten, und dass die Dichtung
tief unter Vossens Luise gestellt werden müsse. Die
Iphigenie, dieses Drama edelster Formenschönheit und
klassischer Stille, war ihm eine „steife Nachahmung der
Griechen", und ähnlich kritielten andere weise Thebaner
des Zeitalters der Haarbeutel. Das Schauspiel wehte sie
kalt an ; denn es war nicht modisch sentimental , blos
seelenvoll , innig und fromm , es athmete die reinste
Sittlichkeit, prct.liiju. aber nichl Muri:'.. sein Pathos rauschte
wie eine mächtige unterirdische Quelle, sein Kolorit war
zu zart, um dem groben Gcschniacke der Menge zu ge-
fallen. Sie starrte die priesterliche Jungfrau bestenfalls
mit grossen Augen au und gahnle: inv.'endi;,'. Gleichfalls
unsympathischen lienrtheilimgcn begegneten bei damali-
gen Leuchten der Kritik Egmont, Tasso, Wilhelm Meister
und die Wahlverwandtschaften, unter welchen Werken
die letztgenannten beiden den Philisterseelen als un-
moralisch Anstoss gaben. Das schöne Leben und die
einfache Fülle, womit auch sie feinfühlige Geister ent-
zücktem, bliebe--: den Alltac;snienscricn verborgen. Goethes
Natur und Richtung stimmten nicht zu den Lehren, die
man aus der jetzt zur Herrschaft gelangten Kantschen
Philosophie abgeleitet hatte.
Die Schule der Romantiker machte gegen die platte
Aufklärung Front, sie kämpfte gegen die Ansprüche und
Leistungen des blossen Verstandes und der abstrakten
Willensfreiheit, sie wies auf das Recht und die Macht
der Phantasie hin, auf das natürlichem Werden und Wachsen
in der Kunst wie im Staate ; sie hielt auf Grund dessen
den Dichter hoch, und ihr weitreichender Einfluss hob
— 8 —
ihn auch in der Schätzung des Publikums. Zwar wandle
sie sich später von ihm ab, weil er nicht mystisch ge-
nu;,', 7.u m.issvoll RCgcn über verzückter Phantasterei und
zu sehr Freund der lichten hellenischen Schönheit war,
um seine Ideale im Halbdunkel des Mittelalters zu suchen;
indess hatten die Meister und Zöglinge der Schule zu
viel ästhetische Bildung, als dass sie im Stande gewesen
wären, der innern Stimm« völlig Schweifen aufzuerlegen,
und so schwankte sie zwischen Anerkennung und An-
feindung des grossen Heiden in Weimar.
Wie nach ihnen die aus Frankreich importirte, mit
der ratiunai^tisrhei! Aufklärung verwand To liberale Dok-
trin den Dichter herabsetzte, und wie die Herolde und
Propheten dieser Richtung , erst der noch halb roman-
tische .ieiiUii-hlliiimulnfle Menzel, dann lä/irne, der bittere
giftige Jude und Demokrat, darauf von ungefähr gleich-
artigem Gesichtspunkte, aber in anständigerem Tone
Gervinus ihn als Aristokraten, als gesinnungslos, knech-
tisch, weibisch, als aller Liebe zur Freiheit und zum
Vatcrlande bar, kurz als in der neuen demokratischen
Welt nicht mehr zeitgemäss darstellten, kann hier nur
angedeutet werden, und dass ihn zuletzt noch, begreiflich
genug, der Ultramontanismus in Gestalt des Jesuiten
liaumgarten für Alle, die dem Zeichen: S. I. folgen,
gründlichst abthat. m<is;e ebenfalls nur kurz erwähnt sein.
Goethe äusserte im Jahre 1830 — also noch kurz vor
seinem Tode — zu Eckermann *) über solche Gehässig-
keilen, an den Vorwurf anknüpfend, er habe in der Zeit
der Befreiungskriege nicht wenigstens als Dichter für die
Sache seines Volkes mitgewirkt: „Es versteckt sich hinter
jenem Gerede mehr böser Wille, als Sie wissen, ich
") liespräclic mit (Diethe TU, 216.
Digitized Oy Google
fühle darin eine neue Form des alten Hasses, mit dem
man mich seit Jahren verfolgt und mir im Stillen bei-
zukommen sucht. Ich weiss, ich bin Vielen ein Dorn
im Auge, sie wären mich gerne los, und wenn man an
meinem Tah.m nielr. rühren kann, sn w ill man all meinem
Charakter. Bald soll ich stolz sein, bald voller Neid
gegen junge Talente , bald in Sinnlichkeit versunken,
bald egoistisch , b;ild ohne Christenthum , endlich gar
ohne Liebe zu meinem Vaterlande und zu meinen lieben
Deutschen. Wenn Sie aber wissen wollen, was ich ge-
litten habe, so lesen Sie meine Xenien; und es wird
Ihnen aus meinen Gegenwirkungen klar werden, womit
man mir abwechselnd Jas Leben zu verbittern ver-
sucht hat."
Edler geartete Cei.'-tcr, tiefere Naturen sahen, un-
abhängig von Schule und Mode, neid- und vorurt heilslos,
in ihm stets unsern ersten Dicht crfür.s'.eu , und in der
Kritik, die ihn verwarf, Unfug und Unsinn. So auch
Vischcr, der grösstc Ae.sthetiker unserer Tage, der die
Opposition gegen ihn in ergötzlichem Vergleiche ver-
spottet. In seinen „Lyrischen Gangen" betrachtet er am
Hamburger Hafen ein ungeheures Seeschiff. Da kommt
eine offene , leere , bruchige Ggarreukiste stromab ge-
schwommen, eröffnet den Kampf mit dem Riesen, stosst
wider ihn an und zerschellt iämmerlich an seinem Buge.
„Da fiel nun so von ungefähr," so schliesst die Satire,
„mir Goethe ein und seine Widersacher."
[L
Aehnlich wie dem vornehmsten Dichter der Deut-
schen ist es ihrem grössten Staatsmann ergangen. Auch
Bismarck hat es vom Antritt seiner amtlichen Laufbahn
bis zu dem schändlichen Rdchstagsskandal vom 2.;. März
1895 und der albernen Hetze der demokratischen Presse
vom Oktober r8oö, nur einer Minderheit zu Danke ge-
macht. Hier wie dort bei Goethe sollte man zu viel
Verehrung rügen müssen , und siehe da , hier wie dort
li.ilh'ii wir violtiK'lii- ;4<'^('[i AiijjnlTf m vi:rtheidig(.;n. Odur
besser hatten wir. Auf fioidiT ( Iralistcin liuichu-n un-
vergänglich die Worte: „Viel Feind, viel Ehr", und bei
Bismarck wurde sein Fall nur die Folie , auf der sein
Werth heller erstrahlte und das Volk seine Sieghaftig-
keit allgemeiner gewahr werden und seine Unersetzlich-
keit schwerer empfinden musste. Kr war von Anbeginn
und wurde im Verlaufe seiner Erfahrungen, in der Ent-
wicklung und Lösung der Fragen , die an ihn heran-
traten, immer mehr der rein natürliche Politiker, der
Mann der thatsächlichcn Verhältnisse, deren Wesen und
Bedeutung er mit genialen Augen, mit dem Instinkte,
der rascher und sicherer fasst als aller Verstand der
Anderen, erkannte, und in deren Beurtheilung und Ver-
Digitized Oy Google
— 11 —
Wendung er sich durch keim: Y<xti:thennc, durch keinerlei
in langem Gebrauch für die Menge unfehlbar gewordenes,
vom Herkommen heilig gesprochenes Vorurtheil irre-
führen Hess. Er war mit dieser Denkart der Reformator
nach den Kordovim yeii den Lehens, der sein I kindcin
ausschliesslich auf die klare Beantwortung der Fragen :
Was ist in der Sache vorhanden , was möglich , was
nützlich r gründete, niemals aber nach dem einrichtete,
was nach den Abstraktionen der oder jener Schule sein
sollte. Aus den Reihen der Konservativen hervor-
gegangen, gehörte er spater als leitender Politiker keiner
Doktrin und keiner Partei an, und so wurde er vom
Standpunkte keiner Doktrin recht begriffen und von den
Lagern aller Parteien nach einander verurthcilt, gehasst
und bekämpft. Den Demokraten von 1848 und denen,
die ihm in der KnniliLtszeil gegenüberstanden , des-
gleichen den vorsichtigem Liberalen, die später nach der
Alleinherrschaft der Parlamente trachteten, war und blieb
er ein Junker, ein Reaktionär, ein Gegner und Schädiger
aller verfassungsmässigen Einrichtungen. Den Konser-
vativen erschien er im Gegentheil eine Zeit lang als Ge-
nosse und Verwandter derer, welche die Krone von der
Majorität der Volksvertretung abhängig machen wollten.
Die Freihändler sahen in ihm einen unbedingten Wider-
sacher der Lehren, die sie verfochten. Die Klerikalen
behaupteten , er sei ein Feind der katholischen Kirche.
Niemand war mit ihm auf die Dauer zufrieden. Anfangs
schätzte man sogar seine Fähigkeiten und sein Wissen
eeiin;: und prophezeit!: ihm ein klägliches Fiasco. Die
„Berliner Allgemeine Zeitung", Vinckes Blatt, von Julian
Schmidt, „Lessing dem Zweiten", redigirt und infolge
dessen doppelköpfig unfehlbare Weisheit predigend, ent-
warf folgende Charakteristik von ihm : „Als ein Land-
Digitized Oy Google
— 12 —
edclmann von ;v.,i -.;>•: politischer HildLing, dessen I An-
sichten und Kenntnisse sich nicht über das erhoben, was
das Gemeingut aller Gebildeten ist , begann er seine
Laufbahn. Den Höhenpunkt seines parlamentarischen
Ruhmes erreichte er in der Revisionskammer von 1H49
und im Erfurter Parlamente. Er trat in seinen Reden
seil vo:: und rücksichtslos auf, meichakm-. bis nur Frivoli-
tät, mitunter witzig bis zur Derbheit, aber wann hätte
er einen politischen Gedanken geäussert?" In der That,
so konnte man aus dieser Censur der damaligen Libe-
ralen schliessen , der wird es nach allem Anschein zu
nichts Besonderem bringen und bald sein Ministerhotel
mit (Jesu Rücke!-, a^-ei'ru müssen.
Später noch , weil schwerer verblendet von oben
und unten zugleich, am 26. August 1865, schrieb Gustav
Freytag in einem Briefe ah mich als Redacteur seiner
„Grenzboten" ; „Wenn unsere Freunde sich von dem
deutschen Bedürfniss, zu lieben und jede Kraftent Wicke-
lung zu verehren , nicht frei machen können , so
mögen sie das in der Sülle thun , wenn sie aber Herrn
v. Bismarck für einen Mann erklären, der etwas Anderes
als Junkerstreiche und wilde Kinl'ällc durchzusetzen im
.Stande ist, und wenn sie dieser Bewunderung in meinem
Blatte Ausdruck geben, so muss ich mir das als Preusse,
der eine andere Idee von der Ehre eines preussischen
Staatsmannes hat, doch in aller Bescheidenheit verbitten.
Da schreibt ein treuherziges Gemüth so weise über Ideal-
und Realismus gegenüber Elenden , die sich von den
Herren Haugwitz und Lombard nur durch einen Zusatz
von Süffisance unterscheiden, welcher Zusatz Ihnen, wenn
mir recht ist, im Roman missfällt (Fink in „Soll und
Haben") in der Wirklichkeit aber auch Ihren treuen
dummen preussischen Kopf verwirrt hat." Als nun von
Digitized Oy Google
— 13 —
allen Erwartungen und lV^ihweiun^eij der Gegner das
Gegentheil eintrat, sollten günstige Zufälle für ihn ge-
arbeitet, sollte er „Glück gehabt" haben, und als er
durch rasch auf einander lokvvuie i^oncidie 1 .risliii^i'n
der Welt über seine Grösse die Augen geöffnet hatte,
als er sich trotz aller Angriffe auf seine Politik Jahr nach
Jahr auf seinem Posten behauptete , gesellte sich der
Neid zur Opposition aus doktrinären Gründen, der Neid
strebsamer liberaler Parteiführer und der gefährlichere
Neid aristokratischer Politiker, die am Hofe Stimmung
gesren ihn machten. Man fühlte sich hier wir: dort als
Kraft, die ebenfalls an erster Stelle Verwendung ver-
diente, ebenfalls das Hochgefühl des Herrschens be-
anspruchen konnte, das ihn angeblich nicht von seinem
Posten weichen, nicht den sich klüger dünkenden Streb-
lingen Platz machen und so Gelegenheit zur Entfaltung
ihrer Talente geben Hess.
Prüfen wir kurz die Vorwürfe, die gegen Bismarck
erhoben wurden, so zerfallen sie vor den Thatsachcn in
Nichts. Der Reichskanzler ist als Junker geboren, d, h.
der Sohn eines Landedclmanns, er fühlt sich in Urlaubs-
zeiten gern als solcher , und er hat in den Tagen , wo
er als Abgeordneter politisch zu wirken begann, die An-
sichten seiner Stand es genossen theilweise vertreten und
mar oft recht derb und unverblümt, ja er hal damals
■■ •>• .,".) .'. . .: .1.1 i ■: .11 • . ■ ■■ i . tv. I 'i:
acceptiren , dass man ihn als Junker hinsicllc. Aber er
ist selbst in jener frühen Zeit kein Gegner des ver-
fassungsmässigen Lebens überhaupt , sondern nur dem
r:.n- . i.:-,. n K 'ii : i .Iinn.i1ismiis. wie er " t'riM-wu
eingeführt wurde, abhold gewesen, weil er ihn als etwas
dem deutschen Wesen Aufgepfropftes, nicht aus ihm Er-
wachsenes betrachtete, und weil er dem Kimige auf-
Digitized by Google
genothigt worden war. Er hätte damals eine ständische
Verfassung und Vertretung vorgezogen, versöhnte sich
aber später mit jenem mechanischen ungegliederten
System soweit, dass er es mit gewissen Vorbehalten und
Einschränkungen Tür nützlich, ja für unentbehrlich halten
konnte. Als Minist« und Reichskanzler hat er der Partei,
die mit dem Ausdrucke Junkerthum bezeichnet wird, nur
mstiiem u a hegest an dei!, als irr wie sie royalistisch fühlte
und vorzüglich deshalb kein Uebcrwiegcn der Parlamente,
keine solche Befu^niss der YolksvertruLun^skörper wollte,
bei der der Monarch wenig mehr als eine mit Goldtinte
geschriebene Null ist. Im Uebrigen war er, wie seine
Bitte um Indemnität bei der Nachwirkung der böhmischen
Siege lind /ahlreiche andere Adiisserungtii um] I Iand-
lungeu beweisen , zu allen Zeiten verfassungstreu und,
wie abermals eine Reihe von Aussprüchen und Mass-
nahmen, z. B. seine häufige Wahl bürgerlicher Kollegen
und seine abweisende Haltung bei dem Verlangen der
Lauenburgischen Ritterschaft nach Bestätigung ihrer alten
Gerechtsame zeigt, kein Anwalt feudaler Ansprüche, kein
Förderer unbilliger Adelsinteressen. Wie unbequem ihm
die Verwirklichung seiner Reformpläne hemmte, hat er
doch niemals eine Reaktion gewollt , weder eine nach
dem Herzen der Junker, der Fraktion Kleist, Lippe und
Konsorten , noch eine andere. Er ist aber andererseits
auch niemals unter die Liberalen gegangen, wie ihm die
Kreuzzeitung einst vorwarf, als sie ihn 1872 des „Ab-
falles vom monarchischen Prinzipe zu Gunsten einer par-
lamentarischen Majorharshen-sehat!" zieh. Er hat sich
vielmehr immer nur vor Augen gehalten, dass er Minister
in einem Staate mit einer Volksvertretung war, deren
Zustimmimg zur Gültigkeit neuer Gesetze erforderlich
— 15 —
ist, enss diese Zustimmung \ «n einer Majorität ertheilt
wird, und dass die Raths der Krone somit verpflichtet
sind, (Vir ihre Gesetzentwürfe eine Majorität zu gewinnen,
wenigstens so weit, dass dieselbe die Regierung im All-
gemeinen unterstützt. Bismarck hat bewiesen , dass er
eine unbedingt nothwendiije Reform keiner Majorität
opfern wollte, er hat aber auch den Ausspruch gethan,
dass der Konflikt keine regelmässige Staatseinrichtung
sein könne.
Auf" die Kla^e der Freihändler int m antworten,
dass ihre Theorie sich bei jedem politischen Gemein-
wesen dessen natürlichen Kräften und dessen wirth-
schaftlichcr l--nwicl;olun!.;>;stufi: anpassen muss , dass sie
ganz ebensowenig wie eine liberale Verfassung allein selig-
machend, ist, und dass Bismarck nur daraufhingewirkt
hat, dass ihn: Geltung für Drutschlaud maßvoll und mit
Rücksicht auf alle Bethciligtcn insoweit eingeschränkt
wurde, als Industrie und L.mdwiiiliich.ii! m ihrem Be-
stehen in Gegenwart und Zukunft vor dem Wettbewerb
übermächtiger Lander Schutz bedurften.
Wenn endlich die Klevik^en dem Reichskanzler eine
feindselige Gesinnung gegen die kathousche Kirche an-
dichteten, so würde das ungefähr zun effen, wenn man es
umkehrte und sagte : der Ultramontanismus , der seit
einigen Jahrzehnten in jener Kirche das Wort führt, zeigte
sich, wie er überhaupt jeden starken Staat, der seinen
Zwecken nicht dienstbar zu sein braucht, mit allen Waffen
befehdet, von Anfang an als erbitterter Gegner und Auf-
wiegler gegen die Schöpfung Bismarcks, das Deutsche
Reich mit dem protestantischen Kaiser. Der Kanzler
nahm in den Streite nur die Stellung eines sich noth-
gedrungen Vertheidigenden ein. Er verhehlte sich die
Schwierigkeiten, die jeder Kampf der weltlichen Macht
Digitized ö/ Google
griff, so
Unfehlbi
Hiergegen schritt er — sicherlich auch mit einem Blick
auf Russlaad , das sein Interesse in Polen von gleichen
national- klerikalen Ränken unterminirt sah und in dem
deutschen Kanzler hiervon Neuem den natürlichen Bundes-
genossen erblicken musste — entschlossen ein, indem er
den Antrag auf Beseitigung jener Staats gefährlichen Be-
hörde stellte und diesem den ferneren auf Einführung
der weltlichen Schulaufsicht folgen liess. Endlich hat
er auch tlk Willi -<n ri !;-v: : r;ini Irruiiyvii an^ert-yt. Da-
gegen ist seine Betheiligung an den eigentlichen Mai-
gesetzen nur eine passive gewesen, und ich habe bei
wiederholten Anlässen von ihm selbst vernommen, er
habe, als diese Massregeln nachträglich zu seiner Kenntniss
gelangt seien, sofort starke Zweifel an ihrem Werthc und
an ihrer Durchführbarkeit geäussert.
Digitized Oy Google
m.
Wir haben bisher ^osclicn, was der Gegenstand unserer
Betrachtung im Lichte der Wahrheit nicht ist. Versuchen
wir nun uns klar zu machen, was er ist; denn nicht blos
bei seinen Gönnern, sondern zuweilen auch bei seinen
die der rechten Beleuchtung oder der Genauigkeit er-
mangeln. Spüren v.-ir ^nächst den Grundsätzen, die ihn
leiten, und den Zielen nach, die er bei seiner Politik
vor Augen hat, so hat sich hier, da er stets durch Er-
fahrungen bclchrbar war und nie ausgelernt zu haben
meinte, im Laufe der jähre durch Beobachtung des ge-
schichtlichen Werdens und innere Verarbeitung seiner
Bildungen Mancherlei geändert. Aber die fundamentalen
Uebcrzeugungen, zu denen er sich auf der Höhe seiner
Laufbahn bekennt , auf welche er seine Pflichten basiit,
nach welchen er sich seine einzelnen Ziele steckt, stehen
bei ihm grossenthuils schon bei Beginn seiner politischen
Thätigkeit, wenigstens seit seiner Frankfurter Zeit fest.
In seinen Reden, schriftlichen Aeuss erringen und amtlichen
Handlungen treten deren vorzüglich zwei hervor. Bereits
im vereinigten Landtage, im Abgeordneten hause von
1849 und im Erfurter Parlamente bekannte er sich zu
2
Digitized Oy Google
- 18 —
dem Glauben an die Notwendigkeit und Heilsamkeit der
Monarchie , wie sie sicli in Preussen herausgebildet und
in ihrem Wesen als lebendige Monarchie bewährt hat
„und in Zusammenhang damit zu dem energischen Gefühle
der Pflicht, diese Einrichtung gegen die Angriffe der
Demokratie zu verthcidiycn," die später unter der Finna
der Forts chrittspartei das Ziel einer Beschränkung, Läh-
niniiy v.nil Yeiili']di!Le;img der königlichen Macht durch
Einschwärzung eines nicht verfassungsmässigen Parlamen-
tarismus erstrebte. Andererseits war er schon nach den
ersten Monaten deiner Wirksamkeit :iU lii:ndesta:_,'SL;('saudler
auf dem Wege zu der Ueb erzeug im g, dass das Heil der
deutschen Nation nur in der Bi^nmchint; eines Hundes
Staates unter der Führung Preussens zu suchen sei, und
entfaltete er auch dafür bald eine rastlose und kraftvolle
Mögliche versuchend , vorbereitend , nicht in direkter
Linie nach dem letzten Ziele. Der zweite Artikel seines
politischen Kredo ging in Anbequemung an die Umstände
und mit Benutzung der wechselnden Gunst der Lage
durch verschiedene Phasen hindurch. Er gab sich zu-
vörderst als Wunsch und Bestreben nach einem Preussen
kund, das vermitreist einer festen, auf seine Vorzüge ver-
trauenden Politik die deutschen Mittel- und Kleinstaaten
essenverbände um sich gmppiren sollte, gestaltete sich
später zu verschiedenen dualistischen Kombinationen und
erreichte, als die letzte derselben ein Bundesverhältniss,
bei welchem Oesterreich im Süden Deutschlands, Preussen
im Norden die militärische Führung haben sollte (die
Gablcnzschc Mission im Frühsommer von 1866), in
Wien abgelehnt worden war , ihre nahezu volle Aus-
prägung im Norddeutschen Bunde und ihre ganze Voll-
Digitized Oy Google
— 19 —
endurtg na ein lleseirigimg der zweiten und letzten llaupt-
schwierigkeit, Frankreichs, im Deutschen Reiche, dessen
Kräftigung und Sicherang seitdem durch ajle inneren
Reform Vorschläge des Kanzlers und gleicherweise durch
die Gesammtheit der Hauptaktionen seiner auswärtigen
Politik wie ein rother Faden zu verfolgen ist. Beide
Glaubenssätze , der von der Noth wendigkeit eines kraft-
vollen, in seiner Freiheit nur durch die Verfassung be-
schränkten Königsthums und der von dem Bedürfniss
eines um Preussen bundesstaatlich geeinten Deutschlands
stehen unmittelbar neben einander und verhalten sich so,
dass der erste das Mittel, der zweite den Zweck aus-
drückt. Selbstzweck kann der erste bei Bismarck wohl
nur in seinen Jugendjahren um: soäter in ( i(-lV;hlsmomcnten
gewesen sein. Zuweilen sah es vielleicht auch nur so
aus, und es gab in solchen Fällen Leute, die gleich jenen
altenAuguren heitere Blicke wcchsuUe:!. Karlistenenthusias-
mus war ihm in dieser Zeit nicht gegeben, indessen mit-
unter nützlich, und so stellte er sich ein. Der freie König
aber gehörte aus vielen Gründen als Mitte! in Bismarcks
Reformationswerk. Nur ein Königtimm wie das preussi-
sche konnte, den geeigneten Träger vorausgesetzt, der
in diesem Falle in König Wilhelm, dem von Bismarck
iicrathenrn und Ergänzten, vorhanden war, die von de! 1
Lage der Dingü dringend geforderte Eirdg^u^ Deutseh-
lands in Angriff nehmen, 'erfolgreich durchführen und,
zum Kaiserthum erhöht, walnhalt fruchtbar machen und
dauernd erhalten. Eine nach dem Muster des englischen
oder französischen Parlamentarismus beschnittene Mon-
archie hätte diese Aufgabe nicht zu losen vermocht.
Hätte der König von Preussen seinen Willen von 1860
bis 1866 der Mehrheit des Abgeordnetenhauses unter-
ordnen und mil Ministem aus der Mitte dieser Mehrheit
2*
Digitized ö/ Google
— 20 —
regieren müssen . so wäre die Umbildung der Armee
unterblieben; denn die Mehrheit begriff nicht, dass in
erster Linie ein stärkeres Heer nSthig war, wenn man
die Einigung der deutschen Kation unter Prcusscn , die
erfahrungsmässig auf friedlichem Wege, oder, wie man
es damals nannte, „mit moralischen Mitteln" keinenfalls
hergestellt werden konnte, crk^inpk-n wullte. Die zweite
Folge einer solchen Not Ii wendigkeit für den König wäre
gewesen, dass man mit der Mehrheit des parteiblindcn
Abgeordnetenhauses für die polnischen Rebellen von
1863 Partei genommen, sie ermuthigt und dadurch sich
Russland entfremdet hätte, dessen Wohlwollen man für
künftige Pläne und Unternehmungen in der deutschen
Neugestaltung bedurfte wie das liebe Brot. Endlich
würde man sich (864 bei der Lösung der schleswig-
holsteinischen Verwickelung nach dem Willen des preussi-
schen Parlaments in den Dienst der Mehrheit Oes deut-
schen Bundestags begeben und eine Bundesexekution mit
preußischen Mitteln vollzogen hüben; man hatte die ge-
meinsame Operation mit den Oesterreichern unterlassen
und wäre (■Inn 1 diese von Jen europäischen .Miiduen
gemassrcgelt worden, die Elbherzogthümer wären dä-
nischer Besitz geblieben, der altersschwach geborene
deutsche Bund wäre durch den Gehorsam Preussens
Die Ueberzeugung Bismarcks, wie zu regieren ist,
schliesst folgende Sätze ein ; Der König von Prcusscn,
der deutsche Kaiser herrscht nicht blos, sondern regiert
auch. Die Unveraiitwortlichkeit seiner Person benimmt
seinen Aeussermigen und Handlungen die Natur seibsr-
ständiger Willensakte keineswegs. Der oberste Inhaber
der Staatsgewalt ist kein abstrakter Begriff, kein blosser
Träger des monarchischen Prinzips, kein blosser Sank-
Digitized Oy Google
— 11 —
tioninmgsapparat, aufgestellt zu dem Zwecke, die nach
den Ansichten und Absichten der Mehrheit in den Parla-
menten geschaffenen Gesetze für die Praxis einzuweihen,
sondern eine Persönlichkeit mit einer Meinung, einem
Willen und einer Stimme, womit er nicht unter, sondern
in wesentlichen Beziehungen, z. B. als ausschliesslicher
Inhaber des Rechtes, Krieg zu erklären und Frieden zu
schliessen, über der Volksvertretung, respektive andern
vuriari.simjjsinässi^n Korpersehaften steht. Die Verfassung
Preussens und ebenso die deutsche hat nur die Wirkung,
einesthcils einen bestimmten Theil von Regiemngshand-
lungen an Gesetze zu binden, die aus der Vereinbarung
der Regierung mit den Volksvertretern, im Reiche zu-
gleich mit den im l-lundesrathe versammelten Mandataren
der Landesregierungen, hervorgehen,' andererseits den
Souverän mit verantwortlichen Rüthen zu umgehen , die
von ihm gewählt sind und einzig und allein durch ihn
von ihren Posten entfernt werden können. Wenn der
Geist der Parteien, die den fremdländischen Parlamen-
tarismus, zu deutsch die Merrscha''; der Vollisvertrel'.mi;
und im letzten Grunde bewusst oder unbewusst die Ver-
wirklichung der sogenannten Volkssouveränität anstreben,
dieses verfassungsgemässe Verhältniss nicht anerkennt,
wenn der IJbo.rali-.uius. blind gegen die Lehren der Ge-
schichte, die dieses in der Denkweise des deutschen und
vorzüglich des preussischen Volks wurzelnde Verhältniss
zu wiederholten Malen als unumgänglich erwiesen hat,
den König zu einer stummen Abstraktion machen, ihn
lediglich als Ornament !;el!c". lassen moelite. so halt er
irrthiimiieh seine Wunsche tue Thaisacben , sn sieb; er
weder auf gesetzlichem noch auf historischem Hoden,
sondern in der trüben Luft seiner Einbildungen.
Dies könnte zu missverständlicher Auffassung ver-
Digitized Oy Google
— 22 —
leiten. Man könnte meinen, dass dem Kanzler im Grunde
ein rationell und wohlwollend verfahrender ganz un-
beschränkter Souverän höher stehe und lieber sei, als
ein solcher, den die Verfassungen binden. Dem wider-
spricht er indessen selbst st;hr entschieden und unzwei-
deutig in einer Rede aus dem Juli 1879, wo er sagt:
„Ich will mich nicht besser machen, als ich bin. Ich
hin kein Gegner des konstitutioneller Systems, im Gegen-
thcil, ich halte es für die einzig mögliche Regierungsform.
Hätte ich 1866, wie wir aus dem Kriege zurückkamen,
geglaubt, dass der Absolutismus in Preussen der För-
denm;; des deulselieri Kiniineiysiverkes ni'it/licli gewesen
wäre, so würde ich unbedingt zum Absolutismus gcrathen
haben. Aber ich habe mich nach sorgfältigem Nach-
denken dafür entschieden, dass auf der Balm des Ver-
lL!-;Mii-i<i-;li:tji:ns weiieizuyi-liei) i.si. was ausserdem meinen
inneren Empfindungen und meiner Uebereeugung von
der GesammtmögHchkeit äusserer Politik entspricht."
Kein Parlamentarismus also, aber auch kein Absolutis-
mus, sondern K.instkulidu.eisinus pieus:,ischer Arl, streng
verfassungsmässiges Regiment, sorgfältige Wahrung einer-
seits der Rechte der Krone, andererseits der Befugnisse
der Volksvertretung und Verwaltung des Staats durch
königliche Beamte nach Massgabe von Gesetzen, die
durch Zustimmung der Mandatare des Volks im Reichs-
tag und Landtag, aber nicht allein durch diese Körper-
schaften zu Stande kommen. Das ist in gedrängter
KassLinsj der Inhalt Jus obei'SIen politischen Glaubens-
satzes, zu welchem sich Bismarck in Betreff der innern
Angelegenheiten Preussens und Deutschlands bekannt
hat und den er im ganzen Verlauf seiner Thätigkcit als
Leiter derselben zu verwirklichen bemüht gewesen ist.
Der zweite grosse Glaubenssatz, die andere Haupt-
Digitized Oy Google
triehfcder seines Verfahrens auf politischem Gebiete, die
deutsche Idee, der Gedanke," dass der lockere Bund der
deutschen Staaten zu einem Reiche unter der Aegide
Preussens umgeschaffen, dass die Nation in diesem Reiche
.soweil irgend möglich und nolh wendig zusammen-
geschlossen , und dass dieser Znstand mit allen billigen
Mitteln erhalten und vervollkommnet werden müsse, wenn
die Gaben und Kräfte dieser Nation zur vollem Ent-
wicklung gelangen, ihre höchsten Interessen gewahrt
und gefördert und schwere Gefahrdung durch die Nach-
barn abgewendet werden sollen, ist vom Reichskanzler
bei mehreren Gelegenheiten vor dem Reichstage aus-
gesprochen worden. Am 9. Juli 1879 sagte er hier:
„ich habe von Anfang meiner Karriere an nur den einen
Leitstern gehabt : durch welche Mittel und Wege kann
ich Deutschland zur Einigung bringen, und wie kann
ich, wenn das erreicht ist, es befestigen, (ordern und so
gestalten, dass es aus freiem Willen aller Mitwirkenden
erhalten wird?" Und am 24. Februar 1881 erklärte er
ebenda : „Alle Systeme, durch welche sich die Parteien
getrennt und »elnindcii fühlen, stehen für mich erst in
zweiter Linie; in erster steht die Nation, ihre Stellung
nach aussen hin, ihre Selbständigkeit, unsere Organi-
sation in der Weise, dass wir als grosse Nation in der
Welt frei athmen können. Alles, was nachher folgen mag,
liberale oder konservative Verfassung, ist ein Luxus der
Einrichtung, der an der Zeit sein wird, wenn das Haus
feststeht. Dann fragen Sie mich um meine Meinung,
in welcher Weise, mit welchen mehr oder weniger libe-
ralen Einrichtungen es zu möhliren sei. Machen Sic mir
Vorschläge, und wenn der Landesherr, dem ich diene,
beistimmt, werden Sie bei mir prinzipiellen Schwierig-
keiten nicht begegnen. Man kann es so machen oder
-m- - -,; • -■ W.v.r. I" ".,. !■ l Ii- . i.
K> gühi /.i'iti-n. *-o man liberal, und solche, w<> :nan
Hiktatorisch regieren muss, es wechselt Alles, hier giebt's
xi-im- Ewigkeit. Abi r v<-n ,1,-n Hau des Reiches, von
i!it Kinij;keit dir Nation verlange :r h. das* sie sturmfrei
dastehen und nicht hlos eine passagere Feldbefestigung
haben "
\ ..Ii ,!,-,:■: t . r i : ■ i« I — :l< -|V, in. i.< "., . n
Winden der Parteien und unter allen Sternbildern, welche
diu auswärtigen Konjunkturen am Himmel aufsteigen
Hessen, wie nach einer Magnetnadel, nach ihnen wen
dete er sein Schiff bald der, bald jener Richtung in den
Parlamenten zu. Das Reich war nach seiner Gründung
zuvörderst nach aussen zu sichern. Dann war auf dessen
innure Ausstattung Bedacht zu nehmen. In jener Be-
ziehung sah sich der Kanzler bis 1S79 der Möglichkeit
einer russisch-fraiizi'isisch-iisterriiichischen Allianz gegen-
über, wie sie die Kaunitzsche Zeit erlebt hatte, und
dieses Bündniss gegen das neue Deutschland verhütet
zu haben, wird die Geschichte ihm dereinst als nicht ge-
ringeres Verdienst anrechnen, als die Politik, mit welcher
er Schopfer des deutschen Reiches wurde. Die zeitig
begonnenen, unermüdlich fortgesetzten und schliesslich
mit Erfüll belohnten Versuche einer Wiederannäherung
an den grossen Nachbarstaat im Südosten, von dem man
sich 1866 hatte trennen müssen, um die Einigung des
eigentlichen Deutschland möglich zu machen, sowie die
Resultate der diplomatischen Kunst des Fürsten gegen-
über andern Mächten waren nicht die einzigen Mittel
hierzu. Als wirksame Unterlage dieser diplomatischen
Bestrebungen war es vor allen Dingen geboten, bei den
Kabinetten Europas den Eindruck hervorzurufen und zu
erhalten, dass das neue Reich in sich einig und fest sei,
Digitized Oy Google
— 25 -
und zu diesem Zwecke imisstc verhindert werden, dass
die Regierung im Reichstage dauernd und bei wichtigen
Fragen in der Minorität blieb. Das Ausland musste
sehen, dass die verbündeten Reyie runden unter sich und
ini: der Mehrheit clor Volksvei Iretiin;; eine-- Sinnes nrii!
beide Elemente in ihrem Sireben von nationale«) Geiste
beherrscht waren. War dies in den ersten fahren der
Fall, weil Liberale und Konservative, damals zusammen-
stimmend. ■ :mii: national: Mj:> >ri: iit bildeten, so konnte
sich die Meinimg des Auslandes von dem Zeitpunkte an
ändern, wo die Partei des Centrums entstand, und die
Konservativen dem Kanzler nicht nur ihre Unterstützung
versagten, sondern ihn leidcnschahiirh zu bekämpfen an-
fingen. Von da an gehörte die Mehrheit im Reichste
unzweifelhaft der liberalen Partei, und da sich der Ein-
druck der Einigkeit nach aussen nur durch Kompromisse
mit ihr unterhalten Hess, so verständigte sieh der Kanzler
von Fall zu Fall mit ihr, und der Ausbau des Reiches
fand unter dem Einflüsse dieser Partei statt. Mit ihrer
Hülfe wurde die Organisation der Wehrkraft des deut-
schen Bundesstaates auf sichere Basis gestellt, und die
Gefahr pari ikularistis eher und antinationaler Bestrebungen
abgewendet. Ingleichen wurden mit ihr die ersten er-
folgreichen Schritte gethan, das Reich in finanzieller Be-
ziehung auf eigene Füsse zu stellen. Andere Reformen,
die Bismarck im Einvernehmen mit dieser liberalen Ma-
jorität des Reichstags ausführte, niiiss ich Weyen Raum-
mangels übergehen. Andererseits hatte der Leiter der
deutschen FokLl; siel; der Zuiiuniuiny der Liberalen r.n
erwehren, die Reich sie gierung einer Anzahl von ihm und
von einander unabhängiger Minister zu übertragen und
so die hochnoth wendige Einheitlichkeit des Regiments
zu beseitigen. Auch bei seinen ferneren Bemühungen
Digitized ö/ Google
— 20 -
für die finanzielle Selbständigkeit des Reiches und für
die Schaffung eines einheitlichen Zoll- und Handels-
system:; in demselben , sowie in seiner Absicht , den
Deutschen Kolonien /.u e.swcibcr., desgleichen in meinem
Bestreben , die arbeilenden Klassen durch geeignete
Massregeln und Einrichtungen in der Sicherheit der
Kxistcnz den iilirigen Kreisen der Gesellschaft t.liunlieh.sl
gleichzustellen und die Einwirkung der Sozialdemokratie
auf jenen Stand abzuschwächen, sah sich der Reichs-
kanzler von der Volksvertretung weniger unterstützt als
von den Regierungen.
Ich gedenke, an diese Thatsache anknüpfend, nun
der Stellung, die der Fürst Bismarck zu den Einzel-
repernngr-n im Reiche einnahm. Dieselbe)', konnten ihm
unbedenklich Beistand leisten , da sie ihm vertrauen
durften; denn er hatte ihnen zu keiner Zeit Zumuthungen
gemacht, die über das Nothy.-e.ndi^ste hinausgingen, An-
sinnen, wie sie die Unitaricr, diejenigen wohlmeinenden,
aber kurzsichtigen Doktrinäre verlangen, die nicht in
der Einigkeit, sondern in der ungegliederten Einheit
Deutschlands ihr Ideal erblicken. Er war auch in dieser
Hinsicht der Staatsmann, der sich an die Natur der Dinge
hält und nur das unumgänglich Nöthige, das tinter den
nbwnlk-rulr.'ii Umständen Mißliche fordert. Ich spreche
mit seinen eigenen Worten , wenn ich sage : „Ist denn
der Unitarismus die nützlichste und beste polltische Ge-
staltung? Ist er es namentlich in Deutschland ? Dass er
es nicht ist, beweisen gerade die partikularistischen Bil-
dungen, die es nach allen Richtungen, nicht blos räum-
lich, durchsetzen. Sie haben nicht blos einen Dorf-
patrifitismus und einen Stndtfi.'itriotisnuis in einer Aus-
bildung, wie ihn die Romanen und Slaven gar nicht
kennen, Sie haben auch einen Fraktio ns Patriotismus und
Digitized Oy Google
— 27 —
einen Ressiirlpairiuüsmu:-, der Alies ausserhalb der eigenen
Fraktion und des eigenen Ressorts als Ausland betrachtet.
Das hat dahin gerührt, dass der Deutsche sich nur in einem
kleinen Gebiete behaglich fühlt, so dass man nicht wohl-
thut, ihm von seinem häuslichen Behagen mehr zu
nehmen, als unbedingt /im; Zusammenhalten lies tiaim-ti,
zur Wirkung nach aussen erforderlich ist. Der Parti-
kularismus ist die Basis der Schwäche, aber auch in
einer Richtung die Basis der Blüthe Deutschlands. Die
kleinen Centren haben ein Gemeingut von Bildung und
Wohlstand nach allen Theilen desselben verbreitet, wie
Die Fehler des Partikularismus, die Schwäche nach
aussen , die Zerrissenheit im Innern , die Hemmstricke
für die Entwickelung von Handel und Verkehr hat der
Bund (der neue, der Norddeutsche, der Vorgänger des
jetzigen Reiches ist gemeint) im Prinzipe vollständig
durchschnitten, und seine Aufgabe ist, sie gänzlich zu
beseitigen. Lassen Sie ihm Zeit dazu , er wird es zu
Stande bringen , und wir werden dabei einträchtig zu
einem positiven und von der ganzen Nation dankend
anerkannten Ziele gelangen. Betrachten Sie die Staatcn-
bildungen, welche eine grosse F,nhvic';ehng im Vergleiche
mit ihren physischen Kräften erreich: haben, ohne dass
die innere Freiheit darunter gelitten hätte, so werden
Kit: finde];, dass sii: vorzugsweise Mit germanischem Boden
wachsen. England ist eine solche, und es ist im hohen
Grade decentralisirt. Sehen Sie sich die mächtige, reiche
Erscheinung der nordamerikanischen Freistaaten darauf
an, ob man dort den Einheitsstaat als die Basis gesunder
Ausbildung betrachtet. Erinnern Sie sich der Schweiz
mit ihrer Kantonal Verfassung. Blicken Sie zurück auf
ein Gebilde, welches die meiste Aehnliehkeii mit dorn
Oigitized Oy Google
Die Centralisation ist mehr oder minder eine Gewaltthat
und ohne einen wenigstens am Geiste der Verfassung sich
versündigenden Bruch kaum durchzuführen, und ein
solcher Bruch hinter] äs st , mag er auch der Form nach
gerechtfertigt erscheinen, lang nachblutende Stellen, Ich
glaube, man soll sich in germanischen Staaten nicht
warum sollten wir da im Kunde das Gcgcnthcil thun, wo
wir Derartiges schon haben, und zwar Selbständigkeiten,
welche Deutschland von grossem Nutzen gewesen sind?
Wir haben 1 'dspieiswelst: von Sachsen Vieles lernen
können für unsere Verwaltung; wir haben ähnliche Er-
fahrungen in Hannover gemacht, und ich freue mich da-
bei über einen Fortschritt in Preussen : dass der Fluch
der hohen Meinung, womit der Mensch sich selbst bc-
ti-figt, bin unserer näheren Hekaniitschal't mit der Ver-
waltung der kleinen Staaten allmählich von uns ge-
nommen wird. Aber das sind Vortheile, die eben aus
dein selbständigen Leben dieser Staaten hervorgehen
und uns um so weniger berechtigen, denselben den ihnen
verfassungsmässig zugesicherten Einfluss auf die All-
gemeinheit !.y; : ci unser Interesse zu v-nikiinimern." Aehn-
liche Gedanken entwickelte Bismarck noch 1893 in
Kissingen. Dass ihm das Auftreten von Unitariern immer
und ganz unwillkommen gewesen wäre , will ich nicht
behaupten. Sic waren ein Gegengewicht in der Wage
Digitized Oy Google
— 29 —
der öffentlichen Mei:'amL.f ^i'^'c:-] die Extreme des Parti-
kularismus, und sie schufen dem Kanzler Gelegenheiten,
sich durch Bekenntniss zum Gegenlheil ihrer Wünsche
im Vertrauen der Bundesfürsten zu befestigen.
Das sind über die (kranken rim-K c.chloi und '.virl-:
liehen Staatsmannes, eines weitblickenden Politikers. Staats-
männisch, politisch urtheilen und handeln heisst, sich
über die Bedmgu:t;^Ti seiner Zwecke klar bewusst, dem
geschichtlichen Leben und der Natur der Dinge ent-
sprechend, also sachgemäss, bis ans Ende schauend und
billig denken und verfahren , von dem Erreichbaren nur
das Nothwendifje in die Hand nehmen , das Gute nicht
verschmähen, weil das Besserscheinende zur Zeit noch
nicht zu haben ist. Die erleuchtete Politik begnügt sich
auch mit Theilzahlungen , und sie giebt wenig auf die
Form, Alles auf den Inhalt. Sie bindet sich nicht an
Theorien, trachtet nicht nach Phantasien und weiss wohl
die Gefühle Anderer ihren Absichten vorzuspannen, hat
aber selbst keine, und noch weniger verstartet sie Leiden-
schaften das Wort. Sie ist eine eminent verständige
Kunst . 1 Vi HtaatsriKüin . wie er sein soll , geneialisirt
nicht, übertreibt und übereilt sich nicht, er sinnt nicht
auf Rache und kennt keine Schadenfreude. Er verfahrt
wie der Kaufmann, der mit der Konjunktur rechnet und
lediglich nach dem Nutzen seiner Unternehmungen fragt.
Er vermeidet Konflikte und Kriege , so lange es ohne
Nachrhcil und Vei>ä-.:mniss ] n t' : i l;1i ist, er bo^chä'uni <;t
den Ausbruch des Krieges, wenn er ihn nicht mehr zu
umgehen vurmay, da roditeiutfi; OtTunsive bei utiyelahr
glcichen Kräften die beste Defensive ist. Bismarck ist
in erster Reihe durch sein angeborenes Genie, durch
seinen fast unfehlbaren Instinkt in der raschen und glück-
lichen Auffindung von Mitteln, Massiere In und Auswegen
Digitized Oy Google
— 30 —
vor neuen historischen Situationen ein Staatsmann ersten
aufgezählten Grundregeln der Politik zur andern Natur
geworden , gleichsam in Fleisch und Blut übergegangen
siiu.!, s<> i:as^ i-r schlcclr.L'tdings nicht anders als poli-
tisch handeln kann. Die Entwickelung der Staats-
angelegenheiten, der politischen natura naturans gebiert
gleich der in andern Bereichen der Schöpfung fort-
wahrend neue Lagen , neue Bedürfnisse , neue Anläufe
zu deren Befriedigung und neue Hindernisse, die sich
nur zu einem kleinen Theile von allen Denkenden ahnen,
zum Theile selbst von bedeutenden Talenten nicht voraus-
sehen lassen, da dieser Vorgang ein unbewusstes Werden
ist. Dil' ^!-niali- I)i:g;i!>i;iig , die dein allein gewachsen
sein lässt, die sie, mit ihm verwandt mit den Augen
der Intuition sieht, die Kunst, jeder unerwarteten Wen-
dung der Verhältnisse unverweilt mit den geeignetsten
Mitteln zu begegnen und sie seinen Absichten dienstbar
/.li umchi. il, dik^r Line: schi>! il'icbc- SlnsU^U 1 dos staats-
männischen Genies ist in ihrer Einheit unbegreiflich wie
das Element, die Urkraft; sie lässt sich nicht in ihre
H est an dt heile zerlegen und löblich auch nicht beschreiben.
Dies gilt auch von Bismarcks Begabung: wir sehen ihre
Aeusserungen , aber ihr letzter Grund, ihre Wesenheit
bleibt Mysterium. Niemand, er wäre denn auch vom
Genius erfüllt, kann mit einiger Sicherheit sagen, was
der Kanzler gethan haben würde , wenn die Lage sich
zu der oder jener Zeit anders gestaltet hätte, als sie
war, aber Alle haben die Empfindung, dass er sie eben-
falls siegreich bewältigt hätte , und zwar auf sehr ein-
fachem Wege, der hinterher aller Welt als selbstver-
ständlich erschienen wäre wie das Ei des Kolumbus.
Gedacht und gewünscht wurde das, was er geschaffen
Digitized Oy Google
— 31 —
hat, im Grossen und Ganzen nachweisbar von Vielen,
aber eben nur gedacht und gewünscht. Dass er das
Wie fand , den rechten Weg zur Verwirklichung ent-
deckte , ihn einschlug und nie abirrte , ist die Wirkung
seines Genies, seines Instinkts, seines immer originellen,
in der Produktion wie in der Kritik gleich mächtigen,
mit heroischer Willenskraft gepaarten Verstandes.
Wir haben in allem seinen Thun und Lassen ein
vollkommen reines Rechnen mit klar erkannten Kräften
und Zuständen vor uns, dem es beim Ausdrucke seiner
Ergebnisse und deren Anwendung doch nicht an ge-
winnender Wärme und poetischem Glänze fehlt. Wir
begegnen ferner in seiner Wirksamkeit bei vielfachem
Wechsel der Mittel, der Neben- und Zwischenziele einer
Konsequenz, die fest und streng das Hauptziel im Auge
behält, einem weitreichenden L'eb erblicke über die mehr
..der wenievr sieiieiv» Mrjnlichkiiilcn zu seiner I-Treiclmng,
einem überaus feinen Takte in der Behandlung der da-
bei vor Allem in Betracht kommenden massgebenden
Personen, der Gabe, im rechten Augenblicke zuzugreifen
und zuzuschlagen, sonst zu vertagen, und einer fast bei-
spiellosen Geschicklichkeit, den Gegner unvermerkt dahin
zu lenken, dass er sich selbst vor der Welt ins Un-
recht versetzt. Wir sahen neben gewaltiger Energie des
Willens , grösster Entschlossenheit , Unerschrockenheit
und Beharrlichkeit, Eigenschaften, mit denen er vor nichts
Nothwendigem zurücktritt, jene Regeln st aat s man ni scher
Kunst in ungewöhnlicher Vollkommenheit verkörpert,
Mässigung und Billigkeit, die nur das Wesentliche fordert
und darum zur Vereinbarung über nur scheinbar Werth-
volles, aber in Wahrheit Nebensächliches oder ganz
Gleichgültiges , das gleichwohl , wie z. B. Ornamentales,
Etiketten massiges hohen, auch höchsten Personen oft
Digitized Oy Google
— 32 —
ganz besonders am Herzen liegt, bereitwillig die Hand
bietet. Ein kalter Kopf Aber einem hcissen Herzen, die
höchste Findigkeit bei der höchsten Kühnheit, Odysseus
und Achilleus in Einer Person — das ungefähr möchte
die Losung des Räthsels sein . welches uns die fast
lückenlose Kette Staunens wert her Erfolge aufgiebt, die
sich durch das Leben Bismarcks als Ministers und Reichs-
kanzlers hindurchsehlingt.
Digitized Oy Google
IV.
Wir gehen nun von Behauptungen zu Betegen, von
allgemeinen Charakterzügen zu besondern Bethätigungen
des Wesens unserem Helden über. Zunächst noch einige
Beispiele seines iiüissvolleri und ! >esr,;intnieu Verhaltens
gegenüber Ansprüchen entgegengesetzter Art, die in
seiner Umgebung, zuweilen recht ungestüm, laut wurden.
Bismarck rieth 1866, als von höhern Kreisen des
Feldlagers, auch vom Könige Wilhelm, der Besitz ganz
Sachsens , wenigstens eines grossen Theils desselben,
Nordböhmens und des einst den Hohemollern gehörigen
Nordbaierns ins Auge gefasst war, von den eroberten
Landstrichen nur Hannover, Kurhessen, Nassau und
Frankfurt zu behalte!!, weil dadurch eine Lücke zwischen
der östlichen und der westlichen Hälfte Prcussens aus-
■;c!'jlk wurde U'id weil die. Bevölkerung d< .rt der
preussischen im Grossen und Ganzen homogen war.
Eine Theilung Sachsens würde , so erklärte er denen,
die den Wösten lies Königreiches , etwa von [ .eipüig
bis Zwickau, und im Osten die Gegend von Zittau
'.'eri,mi.'ten , Verbitterung in dem übrigbleibenden Ge-
biete erregen und dem beabsichtigten neuen deutschen
Bunde ein verstimmtes, grollendes Glied einfügen. Ganz
Digitized ö/ Google
am Kriege betheiligen und schon eine geringe franzö-
sische Kriegsmacht hinreichen würde , die inzwischen
numerisch sehr stark gewordenen süddeutschen Truppen
einzutauschen hoffte. Er rechnete dabei richtig. Die
Verständigung mit Oesterreich kam 1879 zustande, und
das schon i86fi .ib^esciilossene iiändriiss mit Baiern half
1870 Frankreich besiegen.
Der Kanter nahm ferner das Elsass und einen Thei!
Lothringens nicht deshalb, weil sie einmal Bestandttheile
unter uns zur Sprache kam — sondern aus militärischen
Motiven: „weil die dominirende Lage von Strassburg
und der vorspringende Winkel von Weissenburg Süd-
deutschland vom Norden abschnitten und es steten Ueber-
fällen durch die Franzosen aussetzten." Met/, wurde
aus ähnlichen Gründen gefordert. Er licss diese Lande
nicht zur prosaischen Provinz erkoren, wie wohlmeinende
Patrioten, z. B. Heinrich v. Treitschke, wünschten und ihm
nahelegten, sondern bewirkte, dass sie Rcichsland wur-
den, indem er dadurch den Neid und die üble Nachrede
der Bundesgenossen, sie hätten einen Eroberungskrieg
Digitized Oy Google
— 35 —
für Preussen führen müssen, vermied, und indem durch
das gemeinsame Eigenthum des Nordens und des Südens
an dieser Eroberung ein gemeinsames Interesse und da-
mit wieder ein starkes Bindemittel wischen den Staaten
nördlich und südlich vom Main geschaffen wurde. Bei
jeder Verhandlung üher diese oder später auftauchende
verwandte Fragen bekundete er die Selbstbeherrschung,
die genügsame Vorsicht und den weiten Blick des Staats-
mannes, der mit Kopf und Herz über seiner Umgebung
steht, und den mit solcher Natur verbundenen billigen
Sinn; bei keiner Gelegenheit ähnlicher Art liess er sich
durch Gefühle des Publikums von Entschlüssen, die ihm
sachgemäss und zweckdienlich erschienen , irgendwie
ablenken.
Als im September 1870 die „Nationalzeitung" über
die rücksichtsvolle jichaiidlnti g des Kaisers der Franzosen
klagte und der Meinung war , die Nemesis hätte gegen
diesen unsern Gefangenen, den Mann des zweiten
Dezember, den Urheber der Sicherheitsgesetze, den An-
slil'ter des mexikanischen Trauerspiels , den Anzettcler
des jetzigen greuclvollen Krieges weniger galant sein
sollen, der Sieger sei hier nach dem Urthcilc des Volks-
gemüths allzu ritterlich gewesen, war der Kanzler dieser
Ansicht ganz und gar nicht. „Das Volksgemüth , die
öffentliche Meinung", sagte er, „denkt allerdings so. Die
Leute verlangen, dass bei Konflikten der Staaten der
Sieger sich mit dem Moralkodex in der Hand Uber den
Besiegten zu Gericht setze und ihn zur Strafe ziehe für
das, was er gegen ihn begangen, womöglich auch für
seine Sünden gegen Dritte. Das ist aber ein ganz un-
gebührliches Verlangen. Die Begriffe Strafe, Lohn, Rache
gehören nicht in die Politik. Diese darf der Nemesis
nicht ins 1 landwerk pfuschen, nichl das Richlcramt üben
Digitized Oy Google
- 36 --
wollen, das ist Sache der göttlichen Vorsehung. Die
Politik hat nicht zu rächen, was geschehen ist, sondern
zu sorgen, dass es nicht wieder geschehe. Sie hat sich
unter allen Umständen einzig und allein mit der Frage
zu b.-schaltigen: ,Was ist hierbei der Vortheil meines
l.aruiis, und wie nca:nc ich cit-sen Yi.ftlui', am be-lcn
wahr '" Sie hat sich in diesem 'Falle zu (ragen ,Wer
wud nützlicher sein, ein schleciit bchnmKtei XapuSeon
oder rin gu: lnlia::i:L'htr ; ' Die Möglich kei: ist iluta
nicht aiisgeschl<--.-i , n , <:a« er einmal «n-di r < hinaU
kommt •' Wh im im n liier gar:/ d:> Tonart t.\ ::c,rcu,
in welcher er vier Jahre früher UcliiirUr^uns.; und Mässigung
empfohlen hatte, als neben der Begehrlichkeit auch das
Gefühl der Rachlust im böhmischen Feldlager die Weg-
streichung Sachsens von der Karte und die Lostrennung
Frankens von Baiern gefordert hatte. Beust und Pfordten
waren vor dem „Volksgemüth" der Nationalzeitung eben-
falls strafwürdige Sünder, und namentlich der Dresdener
Premier war von der Nemesis unnachsichtlich und gründ-
lich zu züchtigen.
In derselben Tonart äusserte sich Bismarck in Ver-
sailles auch nach anderer Richtung hin. Es war, als
über Tische sein Vetter, Graf Bismarck-Bohlen, in Betreff
der Verhaftung Jacobys. des belrri innen Klinischer jrr
Demokraten , seine Freude äusserte , dass man „den
faulen Schwätzer endlich eingestunden" habe. Der
Kanzler erwiderte : „Ich freue mich darüber ganz und
gar nicht. Der Partoimann mag das thun, weil seine
Rachegefühle dadurch befriedigt werden. Der politische
Mann kennt suIHk: Oetnlik- niehl ; ik-r fragt -k'h nur,
ob es nützt, wenn ein Gegner gemisshandelt wird." Er
bestritt in diesem Falle die Opportunität des Verfahrens
der Behörde, während er ü.s vom Suniipunkn; des Kriogs-
Digitized Oy Google
— 37 —
rechts in der Ordnung fand und mich dies in die
Weserzcitun;; bringen Hess.
Gleichfalls in diesen Zusammenhang gehörig und
gleichfalls sehr charakteristisch sind die Urtheile Bismarcks
über die Aufnahme, welche die in Versailles abgeschlossenen
Verträge wegen des Eintrittes der süddeutschen Staaten
in den Nordbund von Seiten der öffentlichen Meinung zu
erwarten hatten, und über die Ausstellungen, die bald
nachher wirklich daran gemacht wurden. Als der Trak-
tat mit Baiem unterzeichnet werden sollte, sagte er: „Die
Zeitungen werden damit nicht zufrieden sein, und wer
einmal in der gewöhnlichen Weise Geschichte schreibt,
kann unsre Abkommen tadein. Er kann sagen: Der
dumme Kerl hätte mehr fordern sollen, er hätte es er-
langt, sie hätten gemusst. Und er kann Recht haben —
mit dem Müssen. Aber was sind Verträge, wenn man
sie abschliessen mussl Mir lag mehr daran, dass die
Leute mit der Sache innerlich zufrieden waren, und ich
weiss, dass sie vergnügt fortgegangen sind. Ich wollte
sie nicht pressen , die Situation nicht ausnutzen. Der
Vertrag hat seine Mängel , aber er ist so fester. Ich
rechne ihn zu dem Wichtigsten, was wir in diesem Jahre
erreicht haben."
Einige Tage darauf bemerkte er über die Press-
stimmen, denen diese Uebercinkunft nicht genügte: „Ich
habe mir's gleich gedacht. Es misslällt ihnen, dass ge-
wisse Beamte baierischc heissen, die sich doch ganz
nach unsern Gesetzen richten müssen. Mit dem Militär
ist's in der Hauptsache ebenso. Die Bierstcuer ist ihnen
auch nicht recht; als ob wir das nicht jahrelang im Zoll-
vereine gehabt hätten? Und so haben sie noch Allerlei
auszusetzen, wo doch alles Wesentliche erreicht und ge-
hörig festgemacht ist, Sie thun, als ob wir den Krieg
Digitized Oy Google
38
gegen Baiern geführt hätten wie i866 gegen Sachsen,
während wir doch jetzt die Baiern als Bundesgenossen
nur Seite haben. Ehe sie den Vertrag gutheissen, wollen
sie lieber warten, bis sie die Einheit kriegen in der ihnen
genehmen Form. Da können sie lange warten. Ihr
Weg führt zur Verschleppung , wo es doch rasch han-
deln heisst. Zögern wir, so gewinnt der böse Feind
Zeit, Unkraut dazwischen zu säen, und wenn das auf-
geht, können sich diese Tadler auf dem Altare des Vater-
landes todtsch lagen lassen, es wird doch nichts aus ihren
Wünschen."
Hiermit wolle man die folgenden Stellen aus meinem
Tagebuche vergleichen. Die erste ist vom 26. September
1888 und betrifft ein Gespräch, das ich am Morgen des-
selben Tages auf einer Fahrt von Friedrichsruh nach
Silt und Schönau mit dum Kanzler gehabt hatte , und
das sich auf das kurz vorher auszugsweise von Geffcken
veröffentlichte ^Tagebuch des Kronprinzen und spätem
Kaisers Friedrich ID. bezog. Die betreffenden Stellen
meiner Aufzeichnung haben es mit der Verschiedenheit
der Methoden zu thun, nach denen auf der einen Seite
der Prinz, auf der andern der Kanzler im Sommer von
1870 die Frage der Einigung Deutschlands behandelt
und gelöst wissen wollten. „Der Kronprinz", sagte Bis-
marck am 26., September über diesen Punkt u. A., „war
nur theüweise in unsere Verhandlungen eingeweiht, weil
der König fürchtete, er werde seiner Kra?: oder direkt
der Königin Victoria und ihrem Hofe, wo man mit den
l''i , aiii((jsirn s\ mpal hlsirte . darüber sehreiben. Zweitens
aber konnte er uns dadurch schaden, dass er von unsern
deutschen Bundesgenossen zu viel wollte und an Zwangs-
massregeln dachte, zu denen seine guten Freunde in
Baden und Koburg riethen, Roggenbach z. B., der immer
Digitized Oy Google
— 39 —
ein Narr war. Er war also über die Geschäfte nur ober-
flächlich informirt. Dennoch muss es auffallen, dass in
den Aufzeichnungen , die doch Tag für Tag nieder-
geschrieben sein wollen, so viele falsche Eindrücke, Ver-
mischungen , Verwechselungen und chronologische Irr-
thümer vorkommen. Da soll ich Mitte Juli nach Varzin
zurückgewollt haben , weil der Friede nicht mehr ge-
fährdet sei, während er doch wusste, dass ich den Krieg
Tür unvermeidlich ansah und zurücktreten zu wollen er-
klärt hatte, als der König nachzugeben Miene machte.
Ks ist ferner nicht denkbar, dass der Kronprinz sich
schon frühzeitig bemüht haben will , Nichtpreussen das
Eiserne Kreuz zu verschaffen, während er doch noch in
Versailles gegen diese zuerst von mir vorgeschlagene Mass-
regcl war. Erst hier soll , sodann der Streit zwischen
mir und ihm über die Zukunft Deutschlands stattgefunden
haben, wo er sich doch an frühere Meinungsdifferenzen
dieser Art erinnern musste, die zu sehr lebhaften Aus-
einandersetzungen geführt hatten , welche man nicht
leicht vergisst. Es war schon vor oder gleich nach
Sedan, bei Beaumont oder bei Donchory , und unsere
Unterhaltung fand in einer langen Allee statt, wo wir
neben einander herritten. Wir geriethen dabei mit unsern
Ansichten über das, was möglich und moralisch zulässig
war, hart aneinander, und als er von Gewalt und Zwangs-
massregeln gegen die Baiern sprach, erinnerte ich ihn
an Markgraf Gero und die dreissig Wendenfursten, auch
an die Mordnacht von Sendling. Als er aber bei seiner
Meinung blieb, sagte ich ihm (wohl nicht so schroff und
unverblümt), das könne vielleicht ein Prinz, aber kein
Edelmann versuchen. Es wäre Treulosigkeit, MissbamJ-
lung und Verrath an Bundesgenossen gewesen, die ihre
Schuldigkeit gethan hatten, ganz abgesehen von der
Digitized Oy Google
— 40 —
Unklugheit des Attentats, wo wir sie noch nöthig hatten.
Auch das kann der Kronprinz kaum selbst geschrieben
habe», was das angebliche Tagebuch über meine Stel-
lung zur Kaiserfrage im Jahre 1866, über meine Ab-
sichten in Betreff der Infallibität und über die Oberhaus-
idee und die Reichsministerien anfuhrt. Er hat 1870
nicht mehr zweifeln können, dass das Kaiserthum, wie
er sich's 1866 vorstellte, damals weder nützlich noch er-
reichbar gewesen wäre, ja das Kaiserthum überhaupt
nicht. Er wollte 1866 keinen Kaiser, sondern einen
König von Deutschland; die übrigen Könige und die
Grossherzöge sollten wieder werden, was sie gewesen
seien — blosse Hersöge, Als ob das so leicht zu machen
gewesen wäre! Es kam aber 1870 wieder, und er licss
sich erst später von mir überzeugen. Das Oberhaus war
schon bei Beaumont oder Donchery zwischen uns be-
seitigt wurde», desgleichen die Ruichsminister."
Die andere Stelle, welche die vorherige ergänzt, ist
der Information zu einem Aufsatze für die „Grenzboten"
entnommen , dessen Gedanke:! ich mir am Iü. Februar
I889 Nachmittags auf Befehl des Reichskanzlers in dessen
Palais zu Berlin holte. Dieselbe lautet: ,,Als ich des
Artikels über ihn und den Kronprinzen bei den Ver-
sailler Verhandlungen mit den Baiem erwähnte, wollte
er ihn sehen, worauf er sagte: ,Ich möchte Sie bitten,
doch daran anzuknüpfen ntki auf (jul'lVkens Aus/u» .lils
dem Tagebuchc des Kronprinzen zurückzukommen, *)
oder richtiger, aus einem der drei oder vier Tagebücher
*) Kr hatte lieh inunseheti Ubetieagi, das GeRcken wirklich nach
Aufzeichnungen <],.„ K r 1 : : 1 1 1 7 -. : 1 ■ : ■ - 1 -': ,.-it^< Imne. Zwei Tagebücher, ein
Mlf^tL'.s iinil <-in M-lir ihiü-l'iilirl i i.-ln.-^ in f"olii>, U-iilc durchweg vi.n lUrr
M:.:i,! >i K. rioln-ii in-uhrir.'ticn urni -|^ti-i in: I Ijumiiiii-Icniuii vi-r-
'Mihrt. Iiatltll unv in I- 1 ■.■.lr:i l'.-r-.]:i .ir.i.;^ i'.L|.;i v i>ri;c le^ u 1 1 .
Digitized Oy Google
aus dem Kriege und aus späfc
;rn Jahren. Die letztern
sind eigentli
ch keine Tagebüche
r. Ein Tagebuch ist eine
Reihe von ti
iglichen Aufzeichne
igen, in denen man hin-
schreibt, w;
ls man erlebt und ■
;rfa ren hat, unmitte bar
ein Tourist; und s<
3 verhalt sich s auch mit
dem ursprünglichen
, Es ist kurz, beschäftigt
sich vorzüg!
ich , wie es die Kr:
:egszeit mit sich brachte,
mit militari:
ichen Dingen und
enthält so gut wie gar
kein« politischen Betrachtungen.
Die andern sind später
interpohrt, i
iach Gesprächen, di
e er mit guten Freunden
oder sulchei
[, die er dafür hiel
: . j;i-h;ih: h;U 1 hr liil-
dete sich d;
mei ein, dass er d
as schon 1870 selbst ge-
dacht habe.
Ich sage, er bildet,
i sich das ein und glaubte
daran; den
a er war ein sehr
wahrheitsliebender Herr.
Die guten J
vergnügte, Streber und
Intriguantcn
fühlten, die
es besser wussten
und konnten als die Re-
gierung, die
gern mitgeholfen hätten, aber nicht durften.
Es waren v
erkannte Talente ,
sitzen geblieben und kalt
gestellt — ;
.agen Sie, politische Winkelkonsulenten und
PfuschdoktO!
-en. Er zeigte ihnc
n das Tagebuch, und sie
machten ih:
e Bemerkungen da
zu, die er dann eintrug.
Sie hatten f
1 dieser Gestalt eine nütz-
age für die Zukun
ft abgeben könne. Die
n Umgestaltungen si
nd darauf zurückzuführen.
Er liebte au
ch das Abschreiben
, wie ähnliche äusserliche
Beschäftigur.
gen, z. B. das Sie:
,'eln. Und er hatte Zeit
dazu. Sein
Vater hielt ihn *
an allen politischen Ge-
Schäften fern, er redete selbst
beinahe niemals mit ihm
von solchen Sachen und verbot
es auch mir, ihm davon
Mittheilung
zu machen. Von
1863 an gab es ununter-
brochene Kämpfe zwischen den Beiden, und mehrmals
kam es dabei zu heftigen Auftritten , wo . . . So auch
— 42 —
in Versailles bei der Kaiserfrage (in der sich der Kronprinz
die Pläne Bismarcks endlich angeeignet hatte und sie
bei seinem Vater befürwortete), wo der allergnädigste
Herr zuerst von unsern Vorschlägen nichts wissen wollte
und einmal so zornig wur.Lo, d.'iss er mit der Faust neben
dem Tintenfasse auf den Tisch schlug, so dass es hoch
aufhüpfte und fast zum Fenster hinausgeflogen wäre.
Und hier können Sie den Bericht des Tagebuchs über
diese Angelegenheit ergänzen. Wie es überhaupt lücken-
haft und unvollständig ist, so fehlt bei ihm auch der
erste Akt der Verhandlungen, wo ich den Kronprinzen
liehen Kaiser, an Römerzüge, an Karl den Fünften dachte.
Er wollte nur einen König von Deutschland oder der
Deutschen, und die andern drei Könige sollten wieder
den Herzogstitel annehmen: Herzog von Baiern, von
Schwaben, von Sachsen. Daran knüpfte sich die Idee
der Vergewaltigung: sie sollten nach Versailles ein-
geladen werden, und hätte man sie einmal da, so sollte
es heissen: Friss, Vogel, oder ... Das war nun nicht
mein Fall. Das wäre Verrath, Untreue und Undank, und
dazu gäbe ich mich nicht her, auch weil es keinen Be-
stand hätte. Auf friedlichem Wege liessen sich die Ko-
nige nicht degradiren. Dann stellte ich ihm die Vorzüge
der Kaiseridee vor, etwa wie ich später an den König
von Rmerii sdirieb : die Könige würden sich lieber einem
Landsmanne, der den Titel deutscher Kaiser rührte, als
einem Könige von Preussen , einem grösseren Nachbar,
der an die Spitze Deutschlands gestellt werden sollte,
unterordnen und ihm Rechte in Krieg und Frieden ein-
räumen. Im Volke aber habe der Kaiser mehr Eindruck
Digitized Oy Google
z. B. Heinrich der Finkler. Es hoffe bei der Wieder-
herstellung des Reiches auf einen Kaiser als Schluss-
stein. Ein Kaiser sitze im norddeutschen Kyfthäuser
und im süddeutschen Untersberge, kein König. Man
denke sich dabei keinen römischen Kaiser, keine Römer-
rüge und keinen Anspruch auf Weltherrschaft, die gegen
das wahre Interesse der Nation wäre; es sei vielmehr
eine rein nationale Idee, die damit repräsentirt werde,
und die auch uns vorschwebe : die Idee der Einigung
nach Zwietracht und Zerfalt, der neuen Macht und Sicher-
heit durch diese Einigung, diese Konzentrirung zu gleichen
Zielen aller Glieder. Diese Cedanken hätten schon 1818
in der Burschenschaft gelebt, 1848 wären sie in der Pauls-
kirche zu Worte gekommen, 1863 hätte Oesterreich mit
seinem Verfassungsentwurf für den Fürstentag Achnlichcs
im Sinne gehabt. Nur dachte es dabei in erster Linie
an sein eigenes Interesse. Später war bei der Gründung
des Norddeutschen Bundes von einem Kaiser desselben
die Rede, und man sah davon nur desshalb ab, weil
Baierh und Württemberg in diesem Falle damals sich
gewiss nicht angeschlossen hätten und später wahr-
scheinlich auch nicht ... Die Ueberzahl der Könige
überzeugte ihn allmählich, und er war nun für den Kaiser.
Diesen ganzen Akt hat er im Tagebuchc vergessen. Er
schreibt da, als ob er die Kaiscridee erfunden und gleich
anfangs angeregt hätte, während sie doch schon lange
in allen Schichten des Volkes lebte — als Hoffnung,
und er zuerst nichts von ihr wissen wollte. — Nun kam
der dritte Akt, wo wir allerdings zusammen den alten
Herrn in der Präfektur für sie gewinnen wollten. Der
wies uns zuerst heftig ab und gerieth in Wuth, als wir
Oigitized Oy Google
— 44 —
dabei blieben. Ich fragte, ob er denn ewig ein Neutrum
bleiben wollte. — Was meinen Sie damit? Was für ein
Xciunim : Nim , das Präsidium , erwiderte ich. Es
half auch nichts. Dann verstand er sich einigermassen
dazu, wenn er den Titel Kaiser von Deutschland führen
dürfe. Ich setzte ihm aus einander, dass dies gegen die
Verträge sei und den Tcrri'.rn-iaibcsitz ganz Deutschlands
ausdrücken würde. Er meinte, der Zar nenne sich ja
ancli Kaiser vi m Rcsshnd. Irl) widersprach und sagte,
der Titel sei russischer Kaiser. (Er citirte den russischen
Ausdruck.) Er aber blieb bei seiner Meinung, bis er
Schneider darüber befragte und der mir Recht geben
Wir lassen uns nun in weiterer Verfolgung unseres
Themas aus den höchsten und allerhöchsten Regionen
wieder m gewiihnlichcr Menschheit herab und besehen
uns noch ein Beispiel der Art, wie Bismarck gegenüber
der öffentlichen Meinung oder vielmehr denen, die sie
täglich zum Zubrot für den Morgenkaffee und den Abend-
schoppen machen, die politische Vernunft und das Recht
der Thatsachen , die bei diesen Machwerken oft nicht
zu Worte kommen, zu vertreten pflegte. Als in der
ersten Woche des Februar l8;i in Versailles davon ge-
sprochen wurde, dass unsere deutschen Zeitungen über
die Kapitulation von Paris missbilligend die Köpfe schüt-
telten, Indem sie „unverzüglichen Einmarsch der deut-
schen Truppen, Einzug mit Glanz, wie ihn dieses tapfere
Heer al= kriegsmässige Genugthuung verdient", gehofft
hatten, bemerkte der Kanzler: „Das beruht auf voll-
ständiger Unkenntniss der Lage vor und in Paris. Bei
Favre hätte ich's durchsetzen können, aber die Bevöl-
kerung! Sie hatten gewaltige Barrikaden und dreimal-
hunderttausend Mann, von denen gewiss hunderttausend
Digitized Oy Google
gekämpft hätten. Es ist aber Blut genug geflossen,
deutsches, in diesem Kriegt-. Hätten wir Gewalt brauchen
wollen , so wiii-c noch viel mehr vcrgnsseii wordrn Inn
der Erhitzung der Bevölkerung drinnen. Und blos, um
ihnen noch eine Demüthigung zuzufügen, das wäre zu
theuer erkauft, das wäre unpraktisch, unpolitisch ge-
handelt."
Als der Ali^urcliiei.: Yirehow im Dezember ]88i
dem Reichskanzler den Vorwurf machen zu dürfen
meinte , er sei inkonsequent gewesen , weil er vom
Kampfe mit den Klerikalen abgelassen, nachdem er ihn
eine Zeit lang mit Eifer geführt habe , erhielt er die
Antwort : „Jeder Kampf hat seine Höhe und seine Hitze,
aber der Kampf im Innern , zwischen Parteien und der
Regierung, kann nicht als eine dauernde und nützliche
Institution behandelt werden. Ich muss ja Kämpfe fuhren,
doch nur zu dem Zwecke, Frieden z'.\ erlangen. Diese
Kämpfe können sehr hetss werden, und das hängt nicht
immer von mir allein ab, aber mein Endziel ist dabei
doch immer, der Friede. Wenn, ich glaube, diesem
Frieden in der heutigen Zeit mit mehr Wahrscheinlich-
keit nahezukommen, als in der Zeit, wo des Kampfes
Hitze entbrannte, so ist es meine Pflicht, dem Frieden
meine Aufmerksamkeit zuzuwenden, nicht aber weiter zu
fechten, blos um zu fechten gleich einem polirischen
Raufbold. Kann ich ihn haben, den Frieden, kann ich
auch nur einen Waffenstillstand, wie wir deren ja gehabt
haben, die Jahrhunderte gedauert haben, durch einen
annehmbaren modus vivendi erlangen , so würde ich
pflichtwidrig handeln, wenn ich das nicht acccptiien
Begeben wir uns noch einmal in höhere Sphären,
da es dort noch einen Beleg für die hier hervorgehobene
-- 46 — •
Seite des Charakters Hismst-cks zu sehen giebt. Die-
selbe verdient besonders gründliche und reichliche Be-
leuchtung bei einem Staatsmannc, den man mit Vorliebe
den eisernen Kanter mtmile, un; indem :uan mit diesem
Ausdrucke mcisl den Kiicgsmanu unter den Diplomaten,
den auf seine Kraft vertrauenden , gebieterischen Geist
loben oder tadeln zu müssen giaubte. Nebenbei könnte
die Moral der kleinen Geschichte für gewisse Hin-
neigungen, die bis 1895 am Hofe Wilhelms II. bemerk-
bar waren, die passende Bezeichnung an die Hand geben.
Kurz vor dem letzten russisch türkischen Kriege richtete
— so erzählte mir Lothar Bücher — die Königin Victoria
einen Brief an den Chef,*) in dem sie ihn zum Ein-
sprüche gegen die Absicht Russlands , die Pforte an-
zugreifen , bewegen wollte. Die Antwort lautete aus-
weichend. Ein zweites Handschreiben Ihrer Britischen
Majestät begegnete einer weniger verhüllten Weigerung,
Die Königin wandte sich jetzt an den Kaiser, um ihn für
den ausbrechenden Krieg verantwortlich zu machen, und
bat zugleich eine ihm nahestehende hohe Dame, der die
ihr angesonnene Rolle eines Friedensengels mit dem
Olivenkranze gefallen konnte — da sie schon seit Jahren
verewigt ist und der Geschichte angehört , so brauchen
wir auch ihren Namen nicht zu verschweigen, es war
hIku die Kaiserin Au^iüta zu vermitteln. Die Bitte
der Königin wurde ohne Verzug erfüllt, sie entsprach
dem eigenen Herzensbedürfhiss der um Einmischung Er-
suchten. Aber obwohl der alte Kaiser durchaus fried-
fertig dachte, blieb die Vermittelung, so eifrig sie auch
betrieben worden zu sein scheint, ohne Erfolg, da der
•) Der übliche Titel des Kanzlers in der Alllags- und Hanssprache
des Auswärtigen Amtes.
Oigitized Oy Google
Monarch seinem ersten Rathgeber Recht geben musste,
der ihm vorstellte, dass jenes Ansinnen, dem russischen
Nachbar Ruhe zu empfehlen und nötigenfalls zu gebieten,
ohne dazu in den deutschen Verhältnissen und Bedürf-
nissen irgendwie Anlass zu haben, lediglich aus Gefällig-
keit gegen England, damit dieses sich nicht allzusehr
für seine kommerziellen und politischen Interessen am
Bosporus zu sorgen und gesundheitsgefährlich zu erhitzen
brauchte, und der ihn ferner überzeugte, dass es leicht
zum geraden Gegentheil dessen, was damit bezweckt
werden sollte, führen könne, nämlich zum Kriege, und
zwar zu einem Kriege gegen Deutschland — dass also
dieses Verlangen der Londoner Majestät nicht allein
Leuten mit nicht sehr weitem Blick, aber mit gesundem
Menschenverstände musste das einleuchten. „Gesetzt",
so könnte der Kanzler einem solchen gegenüber bei
dieser Gelegenheit argumentirt haben , , .angenommen
der Fall , unser Kaiser liesse sich von London aus be-
stimmun , sich an der .Sache überhaupt diplomatisch zu
betheiligen, angenommen ferner, wir setzten uns in Positur
und riefen nach Osten hin Basta, Russland aber kehrte
sich nicht an das Machtgebot und liesse gegen den Sultan
uns nehmen, bei dem wir günstigenfalls Blut und Geld
für England opfern würden , oder das deutsche Basta
endigte, ohne Nachdruck mit Thaten bleibend, mit einer
Demüthigung Deutschlands vor Russland, es wäre ein
ohnmächtiges Gebot gewesen, eine Schädigung und Ver-
minderung unseres Ansehens und Einflusses im Dienste
einer Macht, die den Deutschen selten oder nie im Ernste
Digitized ö/ Google
— 48 —
wohlgewollt hat und die ihnen ihre gegenwärtige Be-
deutung in Europa nur insofern gönnt, als sie sich viel-
leicht einmal — auch sehr Unkluges ist möglich und
schon gerathen worden; man denke an Josias Bunsen
— zur Förderung von Zwecken ihrer heuchlerischen
Kaufmannspolitik verwenden und fruktifiziren lassen
könnten."
Wie Bismarck den letzten und höchsten Grund
seiner Pflicht als leitende;
■ l'ofitike,
■ überhaupt auffasste,
und wie er in dieser Stellung im
mer bereit war, den
Aufgaben, die sie ihm
;uiIi'!-'.i;l;
tc, seine jeweiligen
Neigungen und Wünsche
-dnen und seine ge-
riialen Gaben dienstbar zu
wie er, so zu sagen,
ethisch fromm war, zeigt
recht dei
Ulich ein Vortrag -
Lothar Bucher nannte ee
. eine Pr
edigt — den er im
Januar 1871 den aus Pari
s zur Ve
rhandlung nach Ver-
sailles gekommenen Fran
zosen hie
:1t, während sie mit
uns bei Tische sassen. Er
sagte da ungefähr, konsequent
sein werde in der' Politik häufig /um Fehler, zu Eigen-
sinn und Selbst Willigkeit. Man verblende und stemme
sich damit gegen das Leben , das die Verhältnisse und
Bedürfnisse uniibkissi^ Vi:i , ;'!Kk'r.- . wumi! er doch wohl
vorzüglich die göttliche Kraft im Volke, den ethischen
Trieb, das in demselben wirkende Unbewusste meinte,
das die Schöpfung unserer Welt in der Geschichte in
doppeltem Sinne aufhebend, fortsetzt. Man müsse sich,
erklärte er weiter , nach den Thatsachen , nach der je-
weiligen \.;we der l)iru.i<\ nach den M<">«iiü:ikeilen richten,
seinem Vaterlande nach den Umständen dienen, nicht
nach siMirn Meinungen, die <>!t Yomrlheilt; wären. Als
er zuerst in die Politik eingetreten sei, habe er andere
Ansichten und Ziele gehabt als jetzt. Er habe sich 's aber
überlegt und sich nicht gescheut, seine Wünsche theil-
weise, nach Befinden auch ganz, den Bedürfnissen des
Tages zu opfern, um zu nützen. Ei" schtoss darauf mit
den Worten: „La patrie veut etre servie et pas domince",
was seinen gallischen Gästen und Zuhörern, wohl haupt-
sächlich durch seine prägnante Form , stark imponirte.
und die Majoritäten hätten stets wenig Verstand, wenig
Sachkenntniss und wenig Charakter besessen, erwiderte
der Kanzler sehr schön, indem er das Bewusstsein seiner
Yvniiit\y.sr|]idski:il vor (ifjti als einen seiner Leitsterne
hervorhob und dem „droit du genic" gegenüber, das der
Franzose hochgehalten wissen wollte, das „devoir" als
das Vornehmere und in ihm Mlichüyere butnntc. „La
majorit£ n'est pas la patrie", fugte er hinzu.
V.
Fragen wir uns, was sind die Haupt] eistun gen dieses
ycnialon und ln-v ii-i.'hi'.i:. diesi-s wcltj;i:i>f:liichtlit:hen Slaa-
lenlenkers, und für was haben wir, sein Volk, was hat
ilio s^csammto politische (u'^env/av; ihm vorzüglich zu
danken , so fasst sich das , was uns aus der Erinnerung
an die Jahre 18Ö3 bis rRfjO vor die Augen tritt, dahin
zusammen , dass er uns den deutschen Staat , das neue
Reich — man darf mit einem Rückblick ,v.-,i das vor-
herige Tohuvabohu getrost sagen, aus nichts — geschaffen
und damit die Anfang riiies politischon Lehens entwickelt
hat, in dem wir nicht mehr das Volk der Dichter und
Denker, nicht mehr blos Lieferanten von Kulturdüngcr
für andere Gebiete, nicht mehr vom Auslande in Ver-
folgung unserer Zwecke gehemmt, für die seinen aus-
genutzt und in unserm Besitze bedroht sind. Er hat
diese neue deutsche Well tvseä:;il'f"i:ii und unter höchst
schwierigen Umständen erhalten, «eschniien mit Gehülfen,
verdienstlichen Gehülfen, erhalten unter wenig günstigen
Aspekten allein durch seine weise und ehrliche Politik
gegenüber den Bundesgenossen im Reiche und gleicher-
massen den massgebenden Kreisen in den grossen Nachbar-
staaten, vor allen in dem jenseits der Ost grenze, dem unter
Digitized Oy Google
— 51 —
Umständen gefährlichsten — eine Politik, die allenthalben
Vertrauen säete Lind thatsäehlieh Iiis zu den letzten Tagen
ihres Wirkens im vollen Masse erntete. Und nicht viel
weniger als wir Deutsche haben die übrigen Glieder der
europäischen VTilIrci f.^niifio dem schaiiundeti und er-
haltenden Genius Bismarcks zu danken, wenn sie, über
die Eitelkeiten chauvinistischen Dünkels und Neides hin Weg-
Sähend, ihr höchstes und wahrstes Interesse ins Auge
fassen : er hat durch jene Schöpfung im Centrum Europas,
durch die neue Grossmacht zwischen Russland und Frank-
reich, den vorzugsweise durch ihre Ansprüche die Ruhe
des Welttheils gefährdenden Staaten, zugleich der ge-
sammten Gruppe der übrigen genützt, ja sogar jenen
beiden , da Krieg unter allen Umständen ein Uebel ist
und die besten Güter Aller durch die deutsche Einheit
sicherer vor Störung von aussen gestellt wurden, als sie
Was die Einzelheit™ dieser Thätigkcit anlangt, s'i
sind die hervorragendsten Leistungen Bismarcks in ge-
schichtlicher Reihenfolge /.unliebst vorbereitende, wie die
entschlossene Uebernalime des Ministeramts in schwerer
Noth und Verlegenheit des Königs, in die ihn die matte
und ungeschickte Behandlung der MilitiLn-eorganisation
durch seine bisherigen altlibcralcn Räthc gebracht hatte,
und die standhafte Verth eidig ung der monarchischen
Gewalt gegen den Ansturm der demokratischen Mehrheit
im Abgeordneienhause, die, angeblich mit dem Verfassungs-
rechtc bewaffnet, die militärische Einleitung des deutschen
Einiglings werkes zu verhindern suchte. Dann, zu dem-
selben Kapitel gehörig, der Abschluss des Kartells gegen
den polnischen Aufstand von 1863, durch welches das
Wohlwollen Russlands für die nächste Zeit gewonnen
wurde , und die Vereitelung des in demselben Jahre
Digitized Oy Google
iternommenen Versuchs Oesterreichs, den deutscher
ind durch den Krank fürt er Kürsteiikongress nach der
Angelegenheit sich entwickeln, durch welche die Elbhcrzog-
thümcr von der dänischen Fremdherrschaft befreit und
davor bewahrt wurden, nun ein selbständiger Staat Deutsch-
lands und so ein neues Werkzeug des Partikularismus zur
Erhaltung unserer damaligen Zerrissenheit zu werden.
War ferner die Hinausdrängung Oesterreichs ans dem
alten Verbände mit Deutschland ein hohes Verdienst
Bismarcks, weil mit diesem kaum halbdeutschen , an-
spruchsvollen und den deutschen Interessen fernen Zielen
zugewandten Staate in engerm Bunde schlechterdings
nicht zu leben war, so ist es kaum ein geringeres Ver-
dienst, Oesterreich allmählich ver.iüimt und zu weitenn
Bunde gewonnen zu haben, weil das Bündniss von 1879
eine Doppehnacht befjrüiKk'ie, die vielleicht allein schon
ein gemeinsames Vorgehen Frankreichs und Russlands
gegen die AHürten unmöglich oder doch unwahrschein-
lich zu machen vermochte, und die, durch Italiens Hin-
zutreten erweitert und ergänzt, einen solchen Angriff von
Osten und Westen zugleich zu verhindern im Stande
war. Weiler ist in diesen; Zusammenheilte zu nennen,
dass Bismarck den seit 1866 drohenden und auf die Dauer
unvermeidlichen Zusammcnstoss mit Frankreich erst mit
höchster diplomatischer Kunst geraume Zeit verzögerte,
dann aber, als dies nicht mehr thunlich und erforderlich war,
zu rechter und uns ^ünsHyn- Surndc ^iTul^ci] Hess. Un-
mittelbar nachher, dass ei uns in diesem Kriege die Reich s-
Oigitized Dy Google
lande und mit ihnen eine sichere Reichsgrenze erwarb, und
später, nach dem Kriiiik tisricr Frieden, als sein wohlwollen-
des Verhalten gegen die französische Republik, der er
im Gegensatze zu Harry v. Arnim den Vorzug vor einer
Restauration der Monarchie gab, wesentliche Vortheile
für uns herbeiführte : es gewann uns für einige Jahre
die Neigung der ruinieren den Republikaner, es half eine
Staatsform befestigen , welche Russland und andere
monarchische Grossmächte von einem Bündnisse mit
Frankreich abschen liess , und es bewirkte durch Be-
günstigung der Kolonialpolitik der Opportunisten einerseits,
dass die Revanche gelüste vor Erfolgen in Tunis und Miss-
erfolgen in Tonking momentan schwacher wurden, andrer-
seits, dass das gute Einvernehmen /.wischen England und
seinem Nachbar am Acrmelkanal, der sein Rival am Mittel-
meer ist, sieh lockerte. Ebenso billi« als vorsichtig suchte
er auf dem Berliner Kongresse die hueressen aller be-
theiligten Mächte mit Einschluss Kusslands möglichst wahr-
zunehmen, und wenn man hier von dem Ergebniss nicht
befriedigt war , so lag der Grund nicht in der Thätig-
keit des Vermittlers, sondern in dem Neide, und eier Eitel-
keit Gortsc hakoffs, in der Unersättlichkeit und dem un-
liMlivhun Deiitschenhasse der Moskowiter und in einer
Presse, die diesen Hass zum Ausbruche schürte, ohne
zu ahnen, dass sie damit Leuten diente, die der tertius
gaudens bei einem deutsch-russischen Kriege zu werden
hofften : den stillen Unkraulsäer:i, die am ihm eh'e YViei'.er-
belebung des polnischen Leichnams oder eine nihilistische
Revolution erwarteten. Endlich ist der Ausbau des
Reiches im Innern gegen die Wünsche und Bestrebungen
der zersetzenden Parteien, die kühne Wendung von dem
bisher bei der ungeheuren Mehrheit der deutschen
Wirthschaftpolitiker als unfehlbar und alleinseligmachend
ati^o'.clur.ijii Fivi!uLi]Jd^y';[uiiL /.u yeiniis-^om Schutz/oN,
der zugleich der Gesammtheit des neuen deutschen Bundes-
staats durch weiiij; fühlbare indirekte Steuern eigene Ein-
nahmen schaffte, und namentlich die Bekämpfung der
Sozialdemokratie nicht nur durch repressive Mittel wie das
Sozialistengesetz, sondern auch und mehr noch durch
positive Waffen, durch gesetzliche Massregeln grössten
Stils , udehe die Erfüllung berechtigter Begehren der
Arbeitcrwelt anbahnten, auf eines der Blatter des Kranzes
von Lorbeeren und Oliven zu schreiben, mit dem fortan die
Geschichte das Kriiiiuiri.iii^sffüd Bismarcks schmücken wird.
Bei vielen dieser Leistungen be^'leik'ie ihn unzweifel-
haft auch das Glück. Wenn das aber von seinem Werth
und Verdienst abgerechnet werden soll , so ist darauf
zu erwidern: jeder hat Glück; er muss es nur sehen und
zu benutzen verstehen. Und bei vielen andern Erfolgen
Bismarcks waren ihm die Sterne Anfangs keineswegs
günstig, und nur seine Energie und seine Beharrlichkeit
setzten es schliesslich durch, dass seinem Genie die
Ueber wältigung der Schwierigkeiten gelang , die sich
in den Weg stellten. Sein Glück wollte, dass er nicht
schon unter Friedrich Wilhelm IV. Minister wurde, der
kraft einer mystischen Begabung der Könige, gewisser-
massen „von Gottes Gnaden," Alles besser wusste als
Andere, seine klügsten Rathgeber eingeschlossen, und
dem er, einmal vorgeschlagen für die Stelle, nicht dazu
passte, weil er „ein rother Reaktionär war und nach Blut
roch". Sein Glück stellte ihm, um Anderes zu verschweigen,
1863 in Kopenhagen eine hochmüthige , hartnäckige
Demokratie neben das Londoner Protokoll und gab ihm
1866 in Hannover einen doppeltblinden König und in
Wien Diplomaten von wenig BEck und Geschick zu
Gegnern. Sein Glück begleitete seine diplomatischen
Oigitized by Google
Thaten in Gestalt eines Feldherrn ersten Ranges. Aber
kaum minder zahlreich sind die Schwierigkeiten, die er
bei Verfolgung seiner Ziele von Anfang an zu über-
winden hatte, ohne dass ihm dabei das Glück zu Hülfe
kam. Und solche Schwierigkeiten erhoben sich vor ihm
nicht allein in heimischen Parteien und fremden Mächten,
widerhaarigen Kollegen cnil r/inkevolleii 1 loiklifjucn. Nicht
blos die zähe Ouerköpfigkeit und heillose Verblendung
der oppositionellen Mehrheit in der Konfliktsperiode,
die Übel ihrem mindestens zweifelhaftem Rechte das klare
Interesse Preussens übersah , nicht nur Oesterreich und
die ihm zugewandten deutschen Kleinstaaten, die sich
auch auf ein Recht berufen konnten, als er an die Neu-
bildung der politischen Organisation der Nation ging,
nicht einzig die neidische Selbstsucht Englands und die
hinterhältige , <:<>ppd/ii['.gi;>e Begehrlichkeit des dritten
Napoleon schufen bei jedem weitern Schritte Bismarcks
in der deutschen Frage Hindernisse und Gefahren. Eine
[lauptschwierigkeit für die meist dringend nothige rasche
Erledigung lag in vielen Fällen wo anders. Nicht immer
war der Monarch bei Wagnissen und neuen Wendungen
der Politik seines Ministers unverzüglich bereit, darauf
einzugehen und ihm Stütze und Rückhalt zu sein, zu
wiederholten Malen wurde derselbe nur mit schwerer
Anstrengung und nach langem Ringen der Meinungen
zu derUeberzeugung gebracht, dass gewohnter Gedanken-
gang oder Gefühls rück sichten dem Gebote der Staats-
räson Raum zu geben hätten. Ich erinnere hier nur kurz
daran, wie lange König Wilhelm vor 1866 und bis in
den Juni dieses Entscheidungsjahres hinein seine Be-
denken gegen einen Waffengang mit Oesterreich fest-
hielt, und wie schwer 1 879 bei seinen starken Sympathien
für den Neffen und Freund auf dem russischen Kaiser-
throne sein« Einwilligung zu dem uothwendig gewordenen
Defensivbündnisse mit dem selben Oesterreich zu erlangen
war, Bismarck schrieb damals*) an Andrassy mit Bezug
auf die von ihm vorgeschlagene Allianz u. A, : „Ich freue
mich, aus Ihrem Schreiben zu ersehen, dass unser Herr
[der Kaiser Franz Josef ist gemeint] den einen Fuss im
Hügel hat, und verzweifle nicht, dass es unsrer gemein-
samen Arbeit gelingen wird, ihn vollständig sattelfest
zu machen. Leider liegt es in der Natur der Dinge, dass
meine Aufgabe so schnell nicht lösbar ist wie die Ihrige.
Der mündliche Vortrag hat nicht nur den Vorzug der
Geschwindigkeit, sondern auch der Beschränkung auf die
Beantwortung der Fragen, die Allerhöchsten Orts wirk-
lich aufgeworfen werden. In der schriftlichen Darlegung
aber muss ich alle die Missverständnisse vorbeugend be-
sprechen, von denen ich befürchten kann, dass sie mög-
lich sind. Ich bin in die Lage gekommen, dass ich
meinem Sohne, der mit Ihrer freundlichen Erlatibniss
dieses schreibt, genau 60 Bogenseiten dictiren und den
Inhalt durch idi^raphipche und gesonderte Zusätze den-
noch ausführlich motiviren zu müssen [musstej. Dem-
ungeachtet ist es mir trotz aller Sorgfalt nicht geglückt,
das Missverständniss damit vollständig zu verhüten , als
ob in unsren friedlichen Plänen ein Hintergedanke
aggressiver Handlung stecken müsse. Dieser Gedanke
ist einem mehr als achtzigjährigen Herrn ein un-
sympathischer, aber ich darf hofft:!!, dass dne Beseitigung
möglich sein wird, wenn es mich auch ein ziemlich um-
fängliches Postscriptum zu jenen 60 Seiten kosten wird.
Weniger Feld für meine Thätigkeit bietet mir die im
*) In einem bis jet?t unvnW.liciUlit Ilten l'riv:itlnii:i t , der mir iSKS
7,u Friedrichsruh in wortgetreuer Abschrift vorlag.
Temperament meiru-s ] Icrtn liegende Abneigung gegen
ein rasches Eingehen auf neue Situationen. Für Aller-
hftchstdcnselben ist das jüngste Verhalten des Kaisers
Alexander*} die erste, mehr blitzartige Beleuchtung einer
Situation, die ich in den letzten Jahren schon öfter mir
zu vergegenwärtigen genöthigt war- Es wirf! Sr. Majestät
ausserordentlich schwer, zwischen den heiden Monarchien
optiren zu sollen, und deshalb wird AllcrhÖchstderselbc
sich der Uebcrzeugung, dass der Moment dazu gekommen
sei, möglichst lange verschliessen. Die Gewohnheit hat
ii! iin«'ini Königsha use eine gewaltige Kruft, der Trieb
zum Beharren wächst mit dem Alter und wehrt sich
gegen das Erkennen unbestrittenen Wechsels der Aussen-
welt."
Das mitgeteilte Citat genügt wohl für meinen
nächsten Zweck, wenn man diplomatisch /.wischen den
Zeilen zu lesen versteht. Ueber den weitern Gang hier
nur die notwendigsten Andeutungen. Der Briefwechsel
zwischen dem Kaiser Wilhelm und dem Kanzler zog
sich noch einige Zeit hin. Widerlegte Hedenken stellten
sieh von nettem ein und verlangten abermalige Beseitigung,
andere tauchten auf und mussten ebenfalls als grundlos
erwiesen werden. Die Zusammenkunft des Zaren mit
seinem Onkel, die in Alexandrowo stattfand, beruhigte
und befriedigte den letzteren , obwohl sie in Wahrheit
die Lage der Dinge nicht wesentlich geändert hatte, und
so kehrte er dem i'hne Hismatcks noch weniger geneigt
von ihr zurück, als er zu ihr hingegangen war. Ehre
und Gewissen sogar schienen ihm jetzt gegen dasBündniss
zu sprechen. Bald hatte er diesen, bald jenen Einwand
*) Derselbe hatte seinem licriiner Olicim einen Brief ^schrieben,
in welchem eine Stelle wie eine rirohunj,' auasall.
— 58 —
gegen die Fassung des Vertragsentwurfs, bald diesen,
bald jenen Abänderungsvorschlag, bis er endlich wider-
willig und schweren Herzens seine Zustimmung und
Unterschrift crtheiitc. Der Kronprinz und die preussi-
schen Minister hatten in der Sache auf der Seite Bis-
marcks gestanden.
Durch die Annäherung ;in Oesterreich sali Bismarck
sich nicht r.u völliger Abkehr von Russland veranlasst.
Im Gegentheil, er fand es möglich, ein gutes Verhältniss
zu dem grossen Nachbar im Nordosten nicht nur zu er-
halten, sondern zu ergänzen und es zu einem zweiten
S i ch er ungs mittel für Deutschland zu vervollkommnen.
Schon bald nach dem Scheiden Goitsehakoffs aus dem
Amte und dem Regierungsantritte Kaiser Alexanders III.
war die Harmonie zwischen der deutschen und der
russischen Politik wiederhergestellt , und beide Theile
waren darüber einverstanden, dass, wenn der eine an-
gegriffen würde, der andere eine wohlwollende Neutralität
beobachten solle. Dieses Abkommen beruhte nicht allein
auf mündlichen Verhandlungen und Zusagen , sondern
war zuletzt auch in einem schriftlichen Vertrage aus-
gedrückt worden, der, von Ministern im Namen ihrer
Monarchen abgeschlossen, [ KS,q y.m Stande kam und bis
auf weiteres sechs Jahn: lang gelten sollte. .Sein Inhalt
ging zwar nicht so weit wie der des deutsch - Öster-
reichischen Bündnisses von 1S79, das ein aktives mili-
tärisches Eingreifen des einen Kontrahenten Verlans;:,
falls der andere von Russland angegriffen wird, aber es
enthielt doch die Verpflichtung zu wohlwollender Neu-
tralität für jede der beteiligten beiden Mächte, wenn
Deutschland von Frankreich oder Russland von Oester-
reich der Krieg erklärt würde. Der Vertrag von 1884 gab
Deutschland die Möglichkeit, nach der österre ichischen
Oigitized by Google
wie nach der russischen Seite hin Deckung in Gestalt
einer Zwickmühle zu finden , die es ganz nach Bedarf
nach der oder jener Seite auf- oder zuziehen konnte,
und die ihm überdies völlige Sicherheit vor Frankreich
gewährte. Diese für Deutschland höchst günstige Lage
der Dinge, die ihm die europäische Suprematie sicherte,
änderte sich 1890. In diesem Jahre lief der Assekuranz-
vertrag von 1884 ab, sollte jedoch auf fernere sechs
Jahre erneuert werden, und die Vorbereitungen dazu
waren bereits so weis «etroffyn, dass nur noch die Unter-
schriften fehlten, als plötzlich die Kanzlerkrisis eintrat
und mit ihr die Sache, die wesentlich auf dem Vertrauen
des Zaren zu Bismarck beruht hatte, ins Stocken gerieth,
Indcss erklärte sich Alexander III. nach einiger Zeit bereit,
auch mit Caprivi neu abzuschlicssen, da selbst eine Macht
wie Russland das unabweisbare Bedürfniss haben musste,
einen sichern BundesgeU"Ssen sieh zur Seist; zu selm:i.
und da für die russische Defensive (also abgesehen
vom deutsch - österreichischen Bündnisse) das deutsche
Reich entschieden der sicherste zu sein schien. Wenn
trotzdem die neue Assekuranz nicht zu Stande kam, so
unterblieb es, weil Caprivi (selbstverständlich aus Ge-
horsam gegen höhern Befehl , dessen Anregung wohl
in England zu suchen ist), das russische Anerbieten ab-
lehnte, indem er erklärte, er wolle eine so komplizirtc
Politik nach zwei Seiten nicht fortsetzen, sondern sich
von jetzt ab auf sein DreibuTidverhüliiiiss beschränken.
Damit war die Erneuerung des Abkommens mit den
Russen, von dem beiläufig in Wien und Rom Mittheilung
gemacht worden war, zurückgewiesen, und es lief im
Sommer 1890 stillschweigend ab. Wenn man sich dazu
der gleichzeitig beginnenden auffälligen Begünstigung
erinnert, welche den preussischen Polen widerfuhr, und
man endlich die ebenfalls in dieser Zeil bemerkbare
demonstrative Hinwendung nach England in Anschlag
bringt, das nach ailen seinen Interessen Russlands ge-
gebener Gegner ist, so kann man nicht im Zweifel sein,
dass die Regierung in Petersburg sich fragen musstc:
was kann der Grund jener Ablehnung und dieser Be-
günstigung unserer polnischen Feinde, dieser Annäherung
an die einzige uns unter allen Umständen entgegen-
wirkende Grossmacht sein? und wenn sie sich nach der
naheliegenden Beantwortung dieser Frage entschloss, sich
nach einer andern Anlehnung, einem andern sichern
Bundesgenossen umzusehen. Derselbe schien sich in Paris
zu finden, wo man sich schon längst von selbst angeboten,
aber bisher in den massgebenden Kreisen an der Newa
keine entscheidende Anziehungskraft gefunden hatte. So
entstanden die Kundgebungen in Kronstadt und ihre
Fortsetzung in Toulon und in Paris, so das Ein-
verständnis« zwischen dem absolutistischen Zaren-
thum und der französischen Republik, das sich zu einem
Bündnisse verdichten kann, wenn die deutsche Politik,
die das Einverständniss , wie gezeigt, hervorrief, nicht
einen andern Weg, d. h. den vjii Bismarck bis lHiy:.-
verfolgten und 1896 in den Hamburger „Enthüllungen"
indirekt empfohlenen oder doch einen ähnlichen ein-
zuschlagen sich entschliesscn könnte.
Oigitized by Google
VI.
Mit dem Citat aus Bismarcks Schreiben an Andrassy
waren wij mit" iimem Gebii'tt- iimji^ins.il., ilas eiinrii t:itjcnc:ti
Abschnitt zu fordern scheint, in dem wir, hauptsächlich
in Beispielen aus kritischen Tagen und Wochen unsern
ersten Reichskanzler gleichsam als Seelsorger, oder wie
es der alte Kaiser selbst einmal ausgedrückt hat, als
„Sceleiiarzt" seines Monarchen am Werke sehen werden.
Man wolle das folgende Kapitel nehmen, wie es ge-
meint ist. Es ist keine Uüdcrstürmcrei , und ebenso
wenig die neidische Neigung des Demokraten, das Strah-
lende zu schwärzen, sondern einfach die Erfüllung einer
Pflicht im Dienste der Wahrheit, einer Pflicht, die sich
um so nachdrücklicher aufdrängt und um so unabweis-
barer empfunden wird, wenn man das Glück gehabt und
nach Kräften wahrgenommen hat, Blicke hinter den
Schleier thun zu können und etwas von dem Innern der
Vorgänge zu sehen oder zu hören. Es ist eine Aufgabe,
mit deren bereitwilliger und unerschrockener Erledigung
man sich bei der Vorsehung lür die Kennt siss , die zu
sammeln gestattet war, gleichsam zu bedanken hat. Es
ist auch nicht das Verymiyen . der Well t;twas yanz
Neues und Sensationelles vorzusetzen, wenn hier der
Persönlichkeit die Wahrheit, die volle und nichts als sie,
zu bieten; denn es giebt unzweifelhaft noch einige an-
dere Eingeweihte und Wissende, denen meine Mit-
theilungen im Ganzen und Grossen nichts Unerhörtes,
keine „Enthüllungen" sein werden, und die in die land-
läufige Legende nur darum einstimmen, weil sie dazu
Gründe zu haben glauben, die Tür mich keine zwingenden
sind oder doch nichl das Gewicht hüben wie der Impe-
rativ der Wahrheit und Gerechtigkeit. Und erträgt es
denn der Meld, den ich im Folgenden zu charaktcrisiren
unternehme, wie er wirklich war, etwa nicht, wenn man
ihm einige, allerding- sehr wesentliche Ei sie nsc Ii alten ab-
spricht, die zum höchsten, zum idealen Helden gehören?
Schwächt es erheblich die dankbare Verehrung ab, die
wir seinem Andenken zollen ? Ich habe es mir verneinen
müssen. Schwinden vor der Kritik die ihm angedichteten
Züge und Verdienste , so bleiben noch genug andere
übrig, die ihn in seiner Art gross erscheinen lassen,
namentlich wenn wir ihn mit Vorgängern vergleichen
oder an Nachfolger denken. Rückt er vom ersten Range
in den zweiten, so bleibt immerhin ein ungewöhnlicher
Mann auf Thronen übrig; denn er überwand sich selbst.
Doch genug der Entschuldigung, die denen, welche
die nachstehende kurze Charakterskizze mit den dazu
gegebenen Belegen lesen werden, vielleicht überflüssig
erscheinen wird, da ihr ( jc;;c:istand sich in einigen dieser
Beispiele indirekt, aber deutlich und unverkennbar selbst
in die zweite Reihe stellt. Es handelt sich um das Helden-
bild des ersten Kaisers in Neudeutschland und sein Ver-
hältniss zu dessen erstem Kanzler, das im vorigen Ab-
schnitt gestreift wurde, und ich stelle nunmehr auf Grund
meines Materials die Behauptung auf, dass es der VVirk-
Oigiiized Dy Google
lichkeit nicht ihr Recht widerfahren lässt', wenn man
gewisse , den Gang der Dinge bestimmende Züge , ge-
wisse intellektuelle und moralische Eigenschaften von
der rathgebenden Seite auf die massgebende überträgt
und deshalb üütn Excmsuil vim der | i'>pu>aren Gesehldii-
schreibung, auch der bessern, von der „Gründung des
deutschen Reiches durch Wilhelm I." gesprochen wird.
Es sollte statt des Wortes durch das Wort unter
gewählt worden sein, zumal da fast jede Seite der be-
treffenden Schrift*) ohne Mühe und Zwang für den Leser,
unzweideutig und unwiderlegbar zeigt, wo die Triebfeder
des Werkes und wer die Hauptperson im Drama war.
Ich weiss, es ist Herkommen, facon de parier, Gebot
der Etikette, und es scheint nicht viel auf sich zu haben.
Aber es schadet, ganz wie ironische Rede von der Menge
miss verstau den wird, es lässt das Volk in seinem Urtheil
irre werden. Man sollte sich's daher abgewöhnen und
den Unfug dem Byzantinerthum der Höflinge und ihrem
Schweif in der Tagespresse überlassen, denen eine solche
Ausdruckweise zweite Natur ist. Ks niiisj als hergebrachte
i'hr;sse meinethalben firleijeiil lu:h im Interesse des mon-
archischen i'nitzips erlaubt scheinen, zu berichten, der
König habe die oder jene Schlacht kommandirt und ge-
wonnen, obwohl das in der neuesten Zeit nur unter
Friedrich dem Grossen und Napoleon dem Ersten wirk-
lich vorkam und seitdem nie wieder. Aber oft wieder-
holt dürfen solche Ungehörigkeiten ohne Gefahr nicht
werden. Und nun gar die Gründung des Reichs durch
den König , wo die Welt wissen müsste , dass der Ge-
danke , die Wege und die Antriebe von Bismarck aus-
gingen und höchstens die nothwendige Sanktion an
— G4 —
oberster Stelle mitzählt, die bei einzelnen Akten mühevoll
genug zu erlangen war. Suum cuique I Und wird einem
Prinzips mit schmeichelnden Phrasen und windigen Fik-
tiu[u:[i ^Oiiicnt. ernstlich und au! 'die I);uilt. und nicht
vielmehr durch gewissenhafte und unbefangene Darstellung
des Sachverhalts, wo der Triller des Prinzips zuletzt ttueli
das ihm als Massgebenden zukommende Theil Anerken-
nung erhält? Ich habe demzufolge die Züge des ver-
ewigten Kaisers, wie sie im Volksglauben leben, an
meinem Materiale geprüft, sie, soweit sie zu demselben
nicht stimmten, beseitigt, das Ganze auf seine wahren
Dimensionen zurückgeführt und geltend zu machen ver-
such'., dass der Held neben seinen unleugbaren Voraigen
auch Mängel und Schwächen hatte, mit denen er, allein
vor seine Aufgabe gestellt oder ungeschickt und zaghaft
berathen, kein Held geworden wäre. Er leuchtet als
Fürst im Glänze seiner Krone am Firmamente der Ge-
schichte, aber als Charakter wie der Mond nicht mit
eignem Lichte.
Kaiser Wilhelm war eine vornehme Natur, ein Gentle-
man von Geburt, wohlwollend, gütig und billig. Er
war ein Regent von seltener Gewissenhaftigkeit und
Pflichttreue gegen sein Amt und sein Volk, wenn ihm
die Pflicht einmal klar war — einer Gewissenhaftigkeit,
die ihn noch im hohen Greiscnalter zu rastloser Arbeit
bewog, die aber bei der Art, wie er sein königliches
Amt auffasste, und bei dem nicht sehr bedeutenden Um-
fange seines Wissens seinen Mitarbeitern bisweilen un-
bequem wurde und Stockungen des Geschäftsganges ver-
ursachte , indem er Alles selbst bestimmen zu müssen
glaubte und doch nicht immer sofort das nöthige volle
Verständnis;, dazu bereit hatte. Er war ferner in der
alten absolutistischen Zeit geboren und gross geworden,
OigitLzed by Google
und er war, als er auf den Thron gelangte, nur Militär
gewesen und dadurch an Befehlen, dem unweigerlich
und heditiLiiinj; zu ^horchen ist, gewöhnt worden.
Er überwand diese Gewohnheit nach Möglichkeit , aber
seine Treue gegen die neue Einrichtung, die sie be-
schrankte, ist ihm wohl niemals Herzenssache geworden,
sondern Sache des Verstandes, Unterwerfung unter ein
notwendiges Uebel , Fügsamkeit gegen einmal über-
niHiimcno Vt: - : irliohUmy ;h':.mi'1h-ti. Kr s!;md -lu. laun.
gm zu den auswärtigen Angelegenheiten überzugehen,
geraume Zeit unter dem Einflüsse von Familien traditionen,
die im Allgemeinen zwar dem deutschen Interesse ent-
sprachen, ihm aber doch nicht immer die rechten Wege
wiesen, und mehr als einmal war die Hofintrigue in
Gestalt hochstehender Damen nicht ohne zeitweilige Er-
folge am Werke, dem Kanzler seine Kreise zu stören,
indem sie, hak; c.ntrmithi^er.d, bald aneUemd, heute als
warnende, morgen als anklagende Stimme, meist aber
als Friedensengel dem Ohre des Monarchen nahte. Ge-
wiss, es war eine steile Bahn, auf die ihn sein hoher
Beruf, im Innern die alte Welt mit der neuen zu ver-
söhnen, nach aussen die deutsche Frage zu gedeihlichem
Ende 211 bringen, hi^L-ilulitc, und es ^cliürU' ein heroischer
Sinn dazu, um über der Steilheit vor sich und den Ab-
gründen neben sich mehr das Ziel zu sehen und Schritt
vor Schritt in Gedanken zu behalten, und dieser Sinn
iindet sich nur bei ausserordentlichen Menschen als Natur-
anlage. Andern muss er von aussen kommen und immer
aufs neue erweckt werden. Zu diesen zählte König Wil-
helm. Rascher Blick und kurz entschlossener Geist in
entscheidenden Momenten waren nicht unter seinen Ga-
ben, und so währte es in der Regel lange, bis es bei
ihm zum vollen Erfassen seiner Aufgabe und zu dem
OigitizedDy Google
— 66 —
entsprechenden Entschlüsse kam. Aber den Mangel glich
ihm das Glück aus, das Glück oder die Fügung, die ihm
einen Rathgeber mit jenem Blick und jener Entschlossen-
heit an die Seite stellte, der allmählich sein Alter ego
wurde. So in diesen Fragen, so auch in andern, die
ihnen folgten. Immer bedurfte es bei zweifelhaften Lagen,
bei Scheidewogen , hei grrjsscn Wagnissen des wein-m
Sehkreises und der starkem Seele Bismarcks, wenn der
Monarch sich schliesslich als Held bewährte und den
Sieg behielt. Nicht, dass dem Küni^c der persönliche
Muth gefehlt hätte, der physische Gefahren verachtet;
im Gegentheil , er besass ihn reichlich. Aber vor
Schwierigkeiten anderer Art, wo ein tüchtig Mass mora-
lischen Muthes von Nöthen war, wenn er davor behütet
sein sollte, die Flinte ins Korn zu werfen, wäre er zurück-
gewichen, wenn ihm niöht in einem Entschlossenem und
der Gelegenheit überhaupt Gewachsenem Beistand ge-
worden, wenn ihm nicht durch Hinweis und Antrieb,
Zuspruch und Aufrichtung unter die Arme gegriffen und
der Rücken gestärkt worden wäre. Nach solchen Stun-
den der Aufrichtung und Stärkung ging es dann freilich
unverzagt auf die Schwierigkeit und Gefahr los und herz-
haft weiter; denn nunmehr hatte der physische Muth
seine Rolle zu spielen.
Wlire das v.u viel behauptet oder zu weni» r Man
höre einige von den Beispielen, die zu Gebote stehen.
Mein Tagebuch erzählt — wie immer nach sofort nieder-
geschriebenen Aufzeichnungen — vom. 27. September
188S: „Abends nach Tische sagte der Fürst (in Friedrichs-
ruh, wo ich damals mehrere Wochen mit dem Ordnen
seiner wichtigern Papiere beschäftigt war), indem er von
seiner Zeitung aufblickte: Ja, von 1840 an haben die
Fürsten angefangen, zu degeneriren. Davon will ich Ihnen
OigitLzed by Google
spätere Kaiser Wilhelm noch nicht für seinen Bruder
e Regentschaft führte, war eine reaktionäre Intrigue im
Gange,
Ort — und sagte ihm Alles. Er war jedoch nicht er-
schrocken über den Plan und sofort bereit, zurück-
zutreten. Es war ihm ganz gleichgültig. Ich aber stellte
ihm vor: Was soll da werden? Es ist doch Ihre Pflicht,
auszuhaken. Lassen Sie gleich Mritic-nlYcl kommen, und
\-LTtii(.:n.'ii Sie's ihm. ■ Der kam denn auch, nachdem
er ein Weilchen gezögert und sich entschuldigt hatte,
er sei krank, und die Sache unterblieb. — Dann in
Babelsberg, als ich berufen wurde, um Minister zu wer-
den. Da hatte er die Abdikittionsurkimdi: achan unter-
zeichnet in suhlt Yen: weif hnin , und c:\-n ab: ich mich
erbot, auch gegen das Parlament, die Mehrheit des Ab-
;;i'n[<lriHt:rihaiw:-;, uiil ihm anzuhalten , üerriss er das
und zugleich eine lange Liste liberaler Zugeständnisse,
die er aufgesetzt hatte. Er hatte jetzt Muth und Ver-
trauen gekriegt und Gefühl für seine königliche Pflicht,
die ihm bisher ganz einerlei gewesen war , und die er
hernach fest genug hielt, so dass der hochsclige Herr
Jahren zuweisen schwer gemacht hat, da seil! Yerständmss
der Dinge beschrankt war. und er sich nur langsam in
Neues hineinfand.' "
Bei einer Unterredung, die ich am II. April 1S77
mit dem Kanzler hatte, und in der hauptsächlich von
Digiiized by Google
— OS -
der Kaiserin Augusta, der „Bonbonniere" Ihrer Majestät *)
und ihrer rührigen Geyen Wirkung sjcjjcn seine Politik
gesprochen wurde , äusserte er , wieder nach meinein
Tagebuche, unter andern) : „Der Kaiser wird alt und
lässt sich von ihr immer mehr beeinflussen. Er ist nie-
mals der starke Charakter gewesen, den Manche ihm
nachrühmen. Ich weiss noch, in der Konfliktszeit, wie
es am ärgsten war, da kam er einmal aus dem Bade
und der Sommerfrische zurück , wo ihm seine Frau vor
der Opposition Angst gemacht hatte. Ich fuhr ihm bis
Jüterbog entgegen , Abends , und setzte mich zu ihm in
den Wagen. Er war sehr niedergeschlagen, dachte an
das Schafott und hatte die Idee, abzudanken. Ich sagte
ihm, ilahs ich nicht jjlauU', die Dinye ständen so schlimm,
die Prcusscn waren keine Kranzoscn , und wenn er an
1 .■;(■; wis.; den .Sech/ehnlen dachte, so sollte er sieh doch
lieber an Karl den Ersten erinnern, der für seine Ehre
und sein Recht gestorben wäre. Wenn man ihn köpfte,
so stürbe er auch für seine Ehre und sein Recht. Was
mich beträfe , so wollte ich das auch gern leiden, wenn
es sein müsste. Da hatte ich ihm an's Portepee ge-
griffen, zu ihm als König und Offizier gesprochen. Er
wurde heiterer, und als wir nach Berlin kamen, war er
wieder ganz verständig. Abends bewegte er sich ganz
munter in grosser Gesellschaft."
Aeknlieh befiehl et e der Kanzler einige \lonato spater.
den 19. Oktober, in Varzin über denselben Vorfall. Mein
] M\:ii-L>:i V. SLilkillil.-.. fi : ; 1 1 . h 11. 1 1 l^a-l ! 'i , kori^-. A.I--
wiirtige Konbuns sollen die lüsctlüfc Dupanluup und Mcmlillod J(c.--
OigitLzed by Google
Tagebuch giebt seine Worte unter dcmselhen Datum
wieder wie folgt: „Beim Thee gedachte er wieder der
Konfliktszeit und seines damaligen Gesprächs mit dem
Könige , das nach dieser Relation aber bald nach der
L'nti'iii.-dim^ in llalv.k!>r:-M st;i',lm>!'umkr] ii, : it[<- und ein fr
gewisse Wendung aus ihr entlehnte. ,In der Konflikts-
zeit', so erzählte er jetzt, , dachten sie an allerlei, was
sie uns anthun wollten — Schafott, oder wenigstens
konnte ich mein Vermögen verlieren. Ich nahm infolge
dessen so viel Geld auf nieine Guter auf, als nur anging.
Man nannte mich damals den preussischen Strafford —
Sie erinnern sich, der Minister, der in der englischen
Revolution 1641 vom Parlamente zum Beile verurtheilt
wurde. Der König hatte auch Angst vor dem Köpfen;
die hatten ihm die Weiber eingeredet, unten in Baden.
Er wollte abdanken, wenn er keinen kriegen könnte, der
mit ihm regieren wollte. (Er wusste ja schon von Baben-
berg, dass Bismarck dies wollte und ihn vor keiner
Majoritiif di s Ab^i'i.i JiU'Urr.li.iLisr.s verlassen würde.) Als
ich ihm auf der Eisenbahn entgegen gefahren war, war
er ganz kleinlaut und gedrückt. Zuletzt fragte er mich:
,Wie, wenn sie uns nun Beide aufs Schafott schicken f —
Ich erwiderte zuerst blos : ,Und dann ?' Darauf aber sagte
ich: .Sie haben Ludwig den Sechzehnten vor Augen;
aber erinnern Sie sich an Karl den Ersten, der ist doch
mit Ehren gestorben.' — Das beruhigte ihn sehr; ich
hatte an sein Offiziers gewissen gerührt.-'
1863 fand sich Bismarck schon wieder vor die Auf-
gabe gestellt, seine Kunst und Wissenschaft als Seelen-
arzt seines Herrn zu bewähren, indem er in der jetzt
brennend gewordenen deutschen Frage ihn vor falscher
Wahl bei schwerer Versuchung abhielt und einen Ent-
schluss verhinderte, der seinen verhängnissvollen Charakter
an der Stirn trug, und den der König aus Rücksichten
des Gt; Iii Isis gleichwohl zu fassen im Begriffe stand, ja
zuletzt schau halb «efasst halte. Ich meine den Fürsten-
tag jenes Jahres und diu dort beabsichtig™ l.'mgestalumy
des deutschen Bundes unter persönlicher Bethciligung
des Königs Wilhelm an dem Werke, das, wenn es zu
Stande gekommen wäre, die natürliche Entwicklung der
Dinge nicht nur aufgehalten, sondern geradezu auf den
Kopf gestellt haben wurde. Rekapituliren wir kurz den
Plan und Hergang der über den grössern Ereignissen
der nächsten sieben Jahre halb vergessenen Angclegen-
j'.L'ii . und Ui.s-t.-ji uiii /.'im Seil Ii iss e Bi.-.iiiiii ek v,u-([cr ini:
eigenen Worten sprechen.
Bekanntlich ging der Österreich Ische Plan einer
Reformirung der Bund es Organisation , unter sehr un-
verhohlener Anerkennung der Gefahr des bisherigen Ver-
hältnisses empfohlen und selbst Manchem, der als Patriot
galt,*) nicht unwillkommen, dahin, dass an die -Spitze
des künftigen Bundes ein Direktorium von fünf Fürsten
treten, dass der Bundestag die laufenden Geschäfte weiter
verhandeln, dass aber ausser ihm, als Legislative, aus
den Souveränen ein zeitweilig zusammentretendes Ober-
haus und daneben ein aus Delegaten der Landtage in den
Einzelstaaten gebildetes und mit berathender Befugniss
ausgestattetes Unterhaus geschaffen werden sollten. Ein
Fürst enkong res s sollte über die Annahme dieses Vor-
schlags, der, genau besehen, weder ffir Preussen, noch
für das eigentliche Deutschland eine Verbesserung, wohl
aber bedenkliche Punkte enthielt, Entscheidung treffen.
*) Ich denke dabei vorzüglich an Liberale, denen das damalige
Regiment in l'ri:us-n-n tikIi! ^e:!<-l. l. 15. den ILei-zog krnst von Koburg-
Gnlhn und seine .Mynmdonen , Gustav Freytag und ähnliche Hof-
demotraten.
In der zweiten Hälfte des Juli reiste König Wilhelm in
[irul''UiiiL^ l!isin;i: cks zur Hadrian naci: Gii^tt-iu. I tiei
machte ihm der Kaiser Franz Josef seinen Besuch, um
mit ihm unter Vorlegung einer Denkschrift den Plan
vorläufig zu besprechen und ihm mitzutheilcn, dass der
Fürstenkongress zur Beschlussfassung über denselben
auf den 16. August einberufen werden solle. Der König
wies das Projekt nicht ohne weiteres zurück, sprach aber
gewisse Bedenken aus, die er dem inzwischen wieder
abgereisten Kaiser brieflich wiederholte, und denen er
nach Bismarcks Rath den Vorschlag folgen Hess, die
Frage vor ihrer Entscheidung durch die Fürsten erst
durch Ministerkonfei enzen prüfen zu lassen. An . dem-
selben Tage lehnte er die ihm mittlerweile zugegangene
offizielle Einladung zum 16. August tdegraphisch in be-
stimmten Worten ab. Schon drei Tage darauf aber er-
folgte eine neue, welche den Vorschlag enthielt, falls
die Badekur das Erscheinen Sr. Majestät in Frankfurt
nicht gestatte, wolle er sich durch einen bcvollmiiclnigtai
Prinzen seines Hauses vertreten lassen. Auch dies wurde,
selbstverständlich auf Anrathen des -Ministers , von der
Hand gewiesen. Auf der Weiterfahrt nach Baden, wo
der letztere den Monarchen wieder begleitete, fand ein
mehrtägiger Besuch bei der Konigin von Baiern, deren
Gemahl sich bereits nach Frankfurt begeben hatte, und
in Wildbad statt, wo die verwittwete Königin von Preussen
Elisabeth verweilte. Diese Zeit und der daran sich
schliessende Aufenthalt in Baden waren mit Verhand-
lungen über das Für und Wider in der Sache, Erscheinen
des Könige Wi!hi:lm mit . [c:in Fiiratiintugi; nr.cv Weg
bleiben, was Scheitern des Projekts der Ocstcrreichcr
bedeutet hätte, ausgefüllt. Bismarck empfahl beharrlich
Festigkeit und Enthaltung. Die fürstlichen Damen da-
gegen waren Anfangs allesammt entgegengesetzter
Meinung, also fiir Nachgeben und Mitwirken, die re-
gierende Königin ebenso wie die verwittwete, die baicri-
sche , obwohl bekanntlich eine preussische Prinzessin,
und die Grossherzogin von Baden, die Tochter des
Königs, Von Berlin her arbeitete die dortige öster-
reichische Partei, deren eifrigstes Mitglied der erwähnte
frühere preussische Minister des Auswärtigen v. Schleinitz
war, rührig für die persönliche Theiiuahmc des Königs
Wilhelm an der Frankfurter Versammlung und an der
Abstimmung über den Wiener Plan. Der Monarch war
jetzt unentschieden, ob er nicht am Ende doch zu der
Versammlung gehen solle, und wenn er sich dem Rathe
Bismarcks geneigter fühlte, so drohte ein letzter Versuch,
ihn umzustimmen, mit einer Wendung zu ;in;:erin F.m-
schlusse. Die Bemühungen, ihn zu gewinnen, kulminirten
in der Ankunft des Königs Johann von, Sachsen, der
in Uoglt/rnnf; seines Ministers y. Heust in Hüden erschien,
um im Namen der in Frankfurt versammelten Fürsten
eine nochmalige Einladung zur netheiligung an ihrem
Werke zu überbringen. Der König Wilhelm schwankte
schon auf die Nachricht hin, dass dieser Besuch be-
absichtigt sei, und war schwer von der Vorstellung ab-
zubringen, dass er „einem Rufe folgen müsse, den ihm
ein ^eknn-Le;- Il.'inj.t. ^'eiehsLeii ^--s Briefträger zu Uber-
inltteln im Begriff stehe". Der König von Sachsen, be-
kanntermassen ein sehr begabter und bei König Wilhelm
in hoher Achtung stehender Herr, hemühtc sich, als er
dann eintraf, unterstüzt von Bcust, mit so viel Eifer und
so lebhaft begründeten Argumenten ad hominem, Se.
Preussische Majestät zur Reise nach Frankfurt zu be-
wegen, dass ihm dies momentan beinahe gelungen wäre.
Als die sächsischen Herren sich wieder entfernt hatten,
befand sich König Wilhelm in der höchsten
Erregtheit, und als Bismarck ihm nach langer
einen endgültigen Absagebrief abgerungen hat
Diese Darstellung beruht zum grössern Theile, d. h.
in den Vorgängen nach Gastein, auf Mittheilungen, die
mir Bismarck im Spätsommer 1883 zu Friedrichsruh
machte. Ich ergänze sie aus einem Tagebuchblatte, das
am It. September 1870 bald nach einem Theege spräche
über denselben Gegenstand geschrieben wurde, und wo-
bei ebenfalls der Kanzler selbst der Erzähler war. „Ja,
es gab damals harte Kämpfe", so schloss er eine Er-
innerung an seine sauere Arbeit in der Schleswig -hol-
Nei-
der König von Sachsen dagewesen war, und
»eh Frankfurt wollte, war's ähnlich. Ich habe
ihn buchstäblich im Schweisse meines Angesichts davo
abgebracht, in Baden." Ich fragte nach einigen Zwischer
reden, ob der König denn wirklich zu den übrigen Fürste
gewollt habe. „Ganz gewiss", erwiderte er. „Ich hab
ihn mit Mühe und Noth an den Rockschössen fesl
gemacht hätte. Die Weiber waren alle dafür, die Königin
Wittwe voran, Augusta u. s. w. Der verwitrweten erklärt
ich, dass ich nicht Minister bliebe und nicht wieder mi
nach Berlin ginge, wenn der König sich uberreden Hesse
Da sagte sie, das thäte ihr leid, aber wenn das meim
ernstliche Absicht wäre, so müsste sie die ihrige ändern
und sie würde dann, allerdings sehr gegen ihre Ueber
zeugung, in dieser Richtung auf ihren Schwager wirken
— 74 -
Es wurde mir aber immer noch sauer genug gemacht.
Er lag, als der König von Sachsen und Bellst. bei ihm
gewesen waren , auf dem Sofa und hatte Weinkrämpfe,
und ich war, ais ich ihm den Brief mit der definitiven
Weigerung abgerungen hatte, so schwach und matt, dass
ich mich kaum auf den Beinen halten konnte. Als ich
das Zimmer verlicss , taumelte ich und war nervös so
aufgeregt, dass ich beim Zumachen der Thür zum Vor-
zimmer draussen die Klinke abriss. Der Adjutant vom
Dienst fragte mich, ob ich unwohl sei. ,Nein', erwiderte
ich, Jetzt ist mir wieder wohl. 1 Beusten aber erklärte
ich , dass ich beim Kommandanten des preussischen
Regiments in Rastatt nütliiwivifalls Mannschaft zur Be-
setzung des Hauses nachsuchen werde, um unsern
Herrn v -r \\\r\\:. rcv Yer-Lu:iiiiii ^ und iilin'iüliirr Gefähr-
dung seiner Gesundheit zu schützen." Kendel] erinnerte
daran , daas der Minister auch beabsichtigt habe , den
sächsischen Kollegen bei etwaiger Wiederkehr in der
Sache verhaften zu lassen. Ihm selbst, Bismarck,
war in der That jetzt wieder wohl: er hatte den
Sieg behalten per tot discrimina rerum, er hatte seinen
König, Preussen und ganz Deutschland vor einem
Schritte bewahrt, der unabsehbar traurige Folgen
haben musste, der die ganze Zukunft, deren wir uns
ihm lebende deutsche Gedanke feierte einen grossen
Triumph , der ihm die Bahn frei machte zu weiteren
Siegen.
Theilweise in dasselbe Kapitel gehört der Inhalt der
oben erwähnten Erinnerung Bismarcks an seine Mühen
in der schleswig-holsteinischen Angelegenheit, von denen
er am II. September lM;o unmittelbar vor der Erzählung
Oigitized by Google
der Vorgänge in Baden sprach. Mein Tagebuch be-
richtet darüber zunächst Folgendes ;
Zuletzt kam die Rede auf die Politik der letztver-
gangenen Jahre, und der Kanzler äusserte: ,Am stolze-
sten bin ich doch auf unsere Erfolge in der schleswig-
holsteinischen Sache, aus der man ein diplomatisches
Intrigucnspiel fürs Theater machen konnte. Oesterreich
freilich konnte nach dem , was über sein Verhalten in
den Bundestagsakten stand, worauf es doch einige Rück-
sicht nehmen mnsste , fürs erste nicht gut mit dem
Augustenburger gehen. Dann wollte es aus der Ver-
legenheit, in die es mit dem Fürstentage gerathen war,
mit guter Manier herauskommen. Was ich wollte, habe
ich gleich nach dem Tode des Königs in einer Sitzung
des Staalsraths gesagt, in einer langen Rede; Die Her-
zogthümer für Preussen. Die Hauptslclle hatte der
Protokollführer weggelassen — er dachte wohl, ich hatte
zu stark gefrühstückt, und es würde mir lieb sein, wenn
das wegbliebe, ich sorgte indessen, dass es wieder hinein-
ijesem wurde. Mein Gedankengang war aber achwer
durchzuführen. Nicht mehr als Alles war dagegen: die
Oester reicher, diu Kn^H : .:'dcr, dir- liiuTak-n um! die nioh;-
liberalen Kleinstaaten, die Opposition im Landtage, ein-
flussreiche Leute am Hofe , massgebende , die Mehrzahl
der Zeitungen. Ja, es gab damals harte Kämpfe, die
härtesten mit dem 1 lofe > auch mit ihm (scilicet, dem
Könige] und seiner Unschlüssigkeit."
Man vergleiche damit das vom ig. Oktober 1S77
datirte Blatt meines Tagebuchs über ein Gespräch mit
dem Kanzler in Varzin. Es heisst da, wie immer in
diesen Memoiren, nach unverzüglicher Niederschrift des
Gehörten :
„Wir unterhielten uns (beim Diner) vom Ausgange
des Krieges mit Frankreich, und der Chef erzählte : ,Der
König wollte mir, als ich Fürst wurde, Elsass und Loth-
ringen ins Wappen geben. Ich hätte aber lieber Schles-
wig-Holstein drin gehabt; denn das ist die diplo-
matische Kampagne, auf die ich am stolzesten bin.' —
Holstein fragte : ,Sie wollten das gleich von Anfang an ?' -
Ja', erwiderte der Fürst, gewiss, gleich nach dem
Tode des Königs von Dänemark. Es war aber schwer.
Alles war dabei gegen mich: die Kronprinzlichen, er
und sie , von ivngen di-r Von* amll-schaft, Si.'rcnissimiiH
selbst, zuerst und lange Zeit, Oesterreich, die kleinen
deutschen Staaten, die Engländer, die es uns nicht
gönnten. Mit Napoleon da ging es, der dachte uns zu
verpflichten. Endlich waren bei uns zu Haus die Libe-
ralen dawider, die auf einmal das Fürstenrecht Tür wichtig
hielten. Es war aber nur ihr Hass und Neid gegen mich.
Auch die Schleswig -Holsteiner wollten nicht. Die Alle,
und was weiss ich noch. Wir hatten damals eine Staats-
rathssitzung, wo ich eine der längsten Reden hielt, die
ich je abgeschossen habe, und Vieles sagte, was den Zu-
hörern unerhört und unmöglich vorgekommen sein rauss.
Ich stellte z. B. dem Könige vor, alle seine Vorgänger
hätten dem Staate etwas hinzugefügt, nur sein hoch-
seliger Herr Bruder nicht; ob er's denn auch so halten
«■olle? Nach ihren erstaunten Mienen zu urtheilen,
dachten sie offenbar, ich hätte zu stark gefrühstückt.
Costenoble führte das Protokoll, und wie ich mir das
hernach ansah, fand ich, dass gerade die Stellen, wo ich
am deutlichsten und eindringlichsten geworden war, weg-
gelassen worden waren. Ich machte ihn darauf auf-
merksam und beschwerte mich. Ja, sagte er, das wäre
richtig, er hätte aber gemeint, dass mir's lieb sein würde,
wenn das wegbliebe. Ich erwiderte; ,Ganz und gar nicht.
Sie dachten wohl, ich hätte; einen gepfiffen? Ich
steht aber darauf, dass es so, wie ich es gesagt llE
hineinkommt."- — Der Minister bemerkte zwar, als
von unsem Abenteuern in Frankreich sprachen, dass
nur noch für Dienstsachen ein gutes Gedächtniss h
- „z. B. wenn ich etwas in Depeschen oder sonsl
Geschäften gelesen habe", fügte er hinzu — „in and
Dingen bin ich unsicher." Aber es scheint damit ni
so arg zu sein; denn der oben mitgetheilte Bericht <
spricht in allen wesentlichen Punkten der
über diese Vorgär
Wir koi
Iiis
es ihn in seinem Verhältnis? zu Wilhelm I. als treibendes
und stärkendes Element oder, um das frühere Bild wieder
üuüutlctnneil, ;ils ik-dumirzl de:. Muiiardicn mit besondiir.-
hellem Licht beleuchtet. Der Staatsmann, so sagte ich
im Obigen ungefähr, vermeidet den Krieg, die gewalt-
sam r I .i'i.sung politisch er l-'rai;i'n , so lange als irguml
möglich ; denn er ist und bleibt unter allen Umständen
ein Uebel. Ist jedoch der ultima ratio regum ohne Gefahr
schleunigt er seinen Ausbruch, so lange seine Aussichten
auf Sieg noch günstiger sind, als sie voraussichtlich in
der nächsten Zukunft sein werden. Solche Beschleuni-
gung ist Gebot des Verstandes und der Pflicht, kein
Tadel, sondern hoher Ruhm und Werth des Dankes patrio-
tischer Herzen. Ein derartiger Fall war eingetreten, als
nach 18(56 Deutschlands Entwickdung zu voller Einheit
begonnen hatte. Der Verdi uss der Franzosen über Sadowa
OigitLzed Oy Google
— 78 —
war beispiellos und entfesselte alle ihre Leidenschaften.
Nicht blos ihr Stolz war verletzt, ihr Neid zur Flamme
entfacht, auch ihr Interesse sollte gefährdet, ihre Sicher-
heit durch den werdenden Staat, die neue Grossmacht
an ihrer Ostgrenze, bedroht sein. Der Eifer gegen
Preussen ergriff alle Kreise, und der Kaiser Napoleon
hatte für seine Krone zu fürchten , wenn er nicht auf
friedlichem Wege oder mit den Waffen in Abtretungen
von Preussen Beruhigung über dessen Zuwachs erlangte
:.(Ut wenn er dem Ni .u [deutschem lhir.de LVstalicte, sich
über die Mainlinie auszudehnen. Er versuchte zuerst
den friedlichen Weg und schritt dann durch eine Militär-
reorganisation und durch Verhandlungen wegen eines
Offensivbündnisses mit Oesterreich und Italien zur Vor-
bereitung des Krieges, der von jetzt an nur noch eine
Frage der Zeit war, zumal da am Hofe von St. Cloud
l;,il:1] uUrEiinomane St im jvjcii Iii: - ihn sprachen. Bismarck
wusste dem Allen gegenüber den Frieden zu wahren, so
lange es geboten und thunlich schien, so lange Angesichts
der neuen Aera in Frankreich noch einige Hoffnung
vorhanden war, die Vollendung des deutschen Werkes,
ohne Störung von dorther und somit ohne Blutvergiesscn
zu bewirken, und so lange man deutscherseits noch nicht
so stark war, um andernfalls des .Sieges nach mensch-
licher Rechnung sicher zu sein. Er beobachtete nach
zwei Richtungen eine dilatorische 1'oiitik : er liess die
ebev die Seheide des Mains z , .;satr.itiensl rebenden Patrioten
von Nord und Süd, obwohl ihnen selbst eine süddeutche
Regierung zuneigte,*) ohne offene Ermuthigung und die
wiederhol ton An erbiet linken und Ansprüche der französi-
schen Diplomatie ohne bestimmte Antwort, so dass dem
s ' Die bidiache.
Oigitized by Google
— 79 —
Kaiser der Franzosen noch ein Rest von Hoffnung auf .
Verständigung blieb. Er gab endlich in der Luxemburger
Frage den Wünschen Napoleons nach, soweit es ohne
grossen Nachtheil geschehen konnte und zum Beweise
seiner Friedensliebe erforderlich schien. Geduld und
Vorsicht hatten bisher alle seine Schritte bezeichnet.
Aber vom Frühjahr 1870 an empfahl sich eine andere
Politik. Deutschland war nunmehr zu erfolgreichen
Kamillen Inn reich und yt:ti.;.-=.tiLft und rni'.it ii-isch vorbereitet,
und andererseits hatte sich Bismarck inzwischen fest über-
zeugt , dass das neue konstitutionelle Regiment in Paris
den Angriff auf die Nachbarn im Osten nicht mehr lange
verzögern könne. Der Gegner wurde allmählich militärisch
■1- Tfr.f
Verzuge gewesen, ho war jetzt augenscheinlich Gefahr
darin, und daraus i'i g;ii > sie.il IVu den de-.il -eilen Si aats^'.anu
der Zwang, die Politik des Aufhaltens der Entscheidung mit
der Politik der tieschleimiguiig lies 1 "n^ufhaltsameu zu ver-
tauschen und einen praktikablen Weg zu finden, wo die
krinipfbeyierigen , aber noch nicht völlig kam] il'bei -eife:i
Franzosen so zu fassen waren, dass sie aus der beiderseits
vira den Regierungen beobachteten Reserve heraustraten,
an den Degen schlugen und eine 1 [eräusforderung erli essen,
ohne dass für das zuschauende Europa eine vorgängige
Beleidigung oder sonst ein zwingender Anlass ersicht-
lich war. Mit andern Worten : es war der Tropfen zu
finden, der noch fehlte, um den siedenden Kessel in
Paris gerade jetzt zum Uebcrlaufcn zu bringen oder, um
es offen herauszusagen; die Franzosen mussten gereizt
werden, und ihre thörichte Furie machte es möglich, es
in einer Weise zu thun, dass sie den neutralen Mächten
als frivole Friedensstörer erschienen. Der Blick und die
OigitizedDy Google
Kunst, eine solche Falle wirksam zu bauen und aufzu-
stellen und den besten Köder lur den missgünstigen,
dünkelhaften gallischen Hahn zu finden , war auf der
Berliner Wilhelm Strasse vorhanden. Die Gelegenheit da-
■ Ma;
mg
der Königin Isabclla erledigten Thron mit dem Erbprii
von Hohenzoilern zu besetzen, der sich in mehrfacher
Hinsicht empfahl. Er war katholisch wie das spanische
Volk, ei war ferner als Enkel der Stephanie Beauharnais
mit dem Kaiser Napoleon näher verwandt als mit dem
Könige Wilhelm, und war endlich ein Schwiegersohn des
Königs von Portugal, dem man in St. Cloud die spanische
Krone eher gönnte als dem Herzoge von Montpensier,
von spanischen Blättern unter den möglichen Kandidaten
für den leergewordenen Thron genannt worden. Im
Februar [869 wies Salazar auf ihn als dtiH nachsl seinem
Schwiegervater , dem König von Portugal , empfehlens-
wert besten hin. Schon jene Pressstimmen bewogen die
französische Regierung, die sie vermuthlich und vielleicht
nicht mit Unrecht als Fühler der Regentschaft betrachtete,
durch ihren Botschafter in Berlin, erst beim Staatssekretär
v. Thiie , dann beim Bundeskanzler selbst, anfragen r.u
lassen, wie man sich dazu stelle. Benedctti hatte diesem
nach mi'melickcir. Au: trage Napoleons , in gclintlesrer
Form hinzuzufügen, die französische Nation werde die
Kanili'.h'.iir eines Trinken vmi 1 kiHt.-n/: illera nicht dulden,
und sie müsse deshalb verhindert werden , und in der
That hatte die Pariser Presse bereits starken Einspruch
„wider die preussische Kandidatur" laut werden lassen.
Benedetti entledigte sich seiner Aufgabe mit der Er-
klärung, seine Regierung nehme an den Vorgängen jen-
seits der Pyrenäen das stärkste Interesse. Das war eine
Drohimg, wie vorgeschrieben, in geiiiitje-ler Form, aber
fiir einen Diplomaten von Personenkenntniss und weitem
Blick deutlich; es war jedenfalls eine Beleuchtung, wenn
eine solche für Bismarck noch nothi« •■■:n.i. Er wnssii;
jetzt genau , woran er in der Sache war , und richtete
sich darnach Tür die Zukunft. Für jetzt , da noch Vor-
König Wilhelm würde bei der Unsicherheit der Zustände
in Spanien dem Prinzen Leopold, wenn ihm die Krone
angeboten werden sollte, wahrscheinlich nicht rathen, sie
anzunehmen, und dessen Vater, der Fürst Karl Anton,
denke seines Wissens ebenso, Bismarck war aber über
die Frage gut unterrichtet. Mittlerweile nämlich hatte
man die Krone dem Könige Ferdinand von Portugal,
dann dem Herzoge von Aosta, einem Sohn Victor Ema-
nuels, angeboten und sich in beiden Fällen eine Ab-
lehnung geholt, und jetzt hatte die Regentschaft emstlich
an den Erbprinzen Leopold gedacht und Salazar beauf-
tragt, zu ihm zu reisen und ihn wegen eventueller Wahl
mm Könige zu sondiren. Salazar suchte zuerst den
preussischen Gesandten in München auf, an den er
empfohlen war, und hatte dann durch dessen Vermitte-
hing am 17. September im Schlosse Weinburg eine Zu-
sammenkunft mit dem Fürsten Karl Anton, den er dem
Plane nicht völlig abgeneigt fand, der jedoch Leopolds
Bruder , den Fürsten Karl von Rumänien , anfänglich als
geeigneter bezeichnete , welcher sich gerade auch in
Weinburg befand. Derselbe wollte indessen nichts von
einem Umtausche seines kleinen Thrones an der Dum bo-
witza gegen den grösseren am Manzanares wissen , ver-
mutlich weil dieser ihm auch als grösserer Sorgenstuhl
t auf Leopold a
nig Neigung, u
Bedingungen, zu deren Verwirklichung damals kaum viel
Aussicht war, z. B. die einstimmige Wahl des Prinzen
durch dir Cortes , sich erfüllt hätten. Die Sendling Sa-
hirs war alsu v. ;rlauli,; als ungefähr üi'^(:bni;;sli:>ä an
zusehen. Mit dieser Auffassung entschloss man sich in
Madrid zu Ende des Jahres iNGy, es wieder mit einer
neuen Kandidatur zu versuchen: es war diesmal der
Herzog Thomas von Genua, ein Neffe des Königs von
Italien, um den man warb. Abermals jedoch erfolgte
eine Ablehnung, obgleich sich die Lage in Spanien unter-
dessen erheblich verbessert hatte. Da griff die Regent-
schaft in ihrer Verlegenheit auf den Hohcnzollern zurück,
und Salazar begab sich zum zweiten Male nach Deutsch-
land, um ihm offiziell die Krone anzubieten. Da er bei
seinem Besuche in Weinburg erfahren hatte, dass die
Hohenzollern ihr Jawort von der Zustimmung des Königs
Wilhelm ais des obersten Hauptes der Familie abhängig
machten, so gab ihm der General Prim ein Schreiben
an diesen mit, und er ging zuerst nach Berlin, um eine
Audienz nachzusuchen. Diese wurde ihm nicht bewilligt.
Wohl aber berief der König eine Sitzung des Gesammt-
ministeriums, der auch der Kronprinz und Moltke bei-
wohnten, und liess den Fürsten Karl Anton und dessen
Sohn Leopold nach Berlin kommen. Die Minister , Bis-
marck und Moltke empfahlen Annahme der Krone im
Interesse des Staates, der Kronprinz äusserte Bedenken,
der König stellte es schliesslich den Hohcnzollern an-
heim, sich nach ihrem eigenen Gutdünken zu entscheiden.
Oigitized by Google
:h ge^en die Ansicht und c
Ablehnen und theilte d
/ochen in Berlin aufgehal
sich täglich mehr mit dem Projekte befreundet, das
seinem Hause Glanz und Grösse verheisse, und bei dem
ihn nur noch der Gedanke schreckte, sein Sohn könne
als König von Spanien infolge der jüngst dort be-
schlossenen antiklerikalen Gesetze im Geiste der Tole-
ranz*) mit der Kurie in Konflikt gerathen und vielleicht
gar dem Banne verfallen. Im Uebrigen betrübte ihn
Leopolds Weigerung aufs schwerste, und so versuchte
er den Vortheil der Familie durch dessen Bruder Friedrich
retten zu lassen, der an Leopolds Stelle als Kandidat
auftreten sollte. Der aber wollte nur im Fall eines aus-
drücklichen Befehls des Königs Wilhelm darauf eingehen,
tmd da der ausblieb, wandte er sich nach einigen Wochen
Wartens von der ganzen Angelegenheit ab. Die Kandi-
datur der Hohcnzollern wäre in Unentschlossenheit und
zaghaften Bedenken erloschen , wenn sich nicht in-
zwischen Bismarck ihrer angenommen hätte.
König Wilhelm war, als er dem Erbprinzen freie
Hand liess, von der Ansicht ausgegangen, dass es sich
hier um eine reine Familiensache handle, die dem Namen
Hohenzollern Erhöhung seines Ansehens in Aussicht stellte,
aber auch Gefahr in sich schliesse und für den preussi-
schen Staat und Deutschland keinen Vortheil biete —
eine Meinung, die der Kronprinz theilte. Bismarck aber
sah weiter und tiefer. Er erblickte Anfangs vermuthlich
s ) Unter Isahelb waren Prmestanten nuill aill" AU: (Meeren gewinnt
OigitLzed Dy Google
in dt':- Besetzung des spanisch™ Thrones mit einem
deutschen Prinzen , dessen Haus dem preussischen ver-
wandt und zugethan war, die Möglichkeit eines befreun-
deten Staates, im Rücken Frankreichs, der, wenn der
Anschluss Süddcutschlands an den geeinigten Norden
zur Reife gediehen wäre, indirekt, d. h. insofern nützlich
sein könnte , als er die Franzosen bei ihrem dann be-
stimmt zu erwartenden bewaffneten Einsprüche gegen
das Einigungswerk nfithigiin würde , einen Theil ihrer
Streitkräfte gegen den unsichern Nachbar im Südwesten
ku rückzulassen. An einen eigentlichen Bundesgenossen
wurde natürlich niemals gedacht. Dagegen ging neben
jener Berechnung seit Benedettia Anfrage ganz unzweifel-
haft der andere Gedanke her, dass Napoleon aus der
Kandidatur, wenn sie plötzlich bekannt würde, einen
Kriegsfall machen konnte, und dieser Gedanke war im
Frühjahr [M/O heim Bundeskanzler sogar der nächst::
und oberste. So erklärt sich sein zähes Festhalten an
der Kandidatur, die ihm mit Prinz Leopolds Ablehnung
keineswegs aus der Welt geschafft war. Er sandte in
der Fastenzeit vor Ostern Lothar Bucher mit dem Auf-
trage nach Madrid , sich nach den dortigen Zuständen
zu erkundigen , und gab ihm einen ermuthigenden Brief
an Prim mit. Zu gleicher Zeit wurde in der Person des
Majors v. Versen ein preussischer Militär beauftragt, sich
dort über die spanische Armee zu informiren , und man
veranstaltete Revuen zu dem Zwecke. Daheim wurde
Bismarck nicht müde, in den Fürsten Karl Anton zu
dringen, dass er seinen Sohn umstimme und ihn zur
Annahme des Thrones bewege, die er ihm als patrio-
tische Pflicht darstellte. Der Brief an Prim bewirkte,
was er sollte : nachdem der Erbprinz dem General seine
Weigerung schriftlich mitgetheilt hatte, antwortete ihm
dieser, er gebe seine lloti'min:; noch nicht auf und nehme
die Ablehnung nicht an, und als Bucher und v. Versen
nach inehrwöchentlichem Aufenthalt in Spanien zurück-
kehrten und LMin.^LLUUL Ili-iiclit über de:: dortigen Slaüd
Schilderungen mit der guten Aufnahme der Agenten
durch die Regentschaft erklären , aber bei dem Prinzen
Leopold bewirkten sie die von Bismarck erstrebte Um-
kehr von seiner bisherigen Abneigung, und in der letzten
Woche des April war er bereit, die Kandidatur an-
zunehmen. Er sprach sich in diesem Sinne gegen den
Kronprinzen aus, der seinen Vater und den Bundeskanzler
vcii der Smnesürsderuni; in Kenntnis setzte. Der König
war, wie früher mit der Ablehnung, so jetzt mit dem
Gegentheile einverstanden ; er sah in diesem noch nichts
von einer „patriotischen Pflicht", Bismarck aber schrieb
dem Fürsten Karl Anton, er möge seinen Sohn in dessen
jetzigem Entschlüsse bestärken, und benachrichtigte zu-
gleich Prim von dem Umschwünge , der sich vollzogen
hatte , durch ein zweite Sendung Buchers nach Madrid.
Demzufolge, wurde Salazar beauftragt, sich von Prinz
Leopold persönlich die Zusage zu holen. Der spanische
Agent bewog den preussiscrien, ihn bei der Aufsuchung
des Prinzen, der sich jetzt in Reichenhall befinden sollte,
zu begleiten. Sie trafen ihn dort nicht an, wohl aber
seine Gemahlin, von der sie erfuhren, dass er bei seinem
Vater in Sigmaringen sei. Hier erlangten sie am 16. Juni
ohne weitere Schwierigkeiten das langersehnte Jawort.
Alsdann begaben sie sich nach Ems, wo Bucher sich
bei dem inzwischen zur Kur eingetroffenen Könige eine
Audienz erbat, um ihm über den Erfolg ihrer Reise Vor-
trag zu halten. Darauf reiste er zu seinem Chef nach
Varzin. um ihm ebenfalls Bericht zu erstatten. Salazar
streng geheimzuhalten, und zwar auf Verlangen Bismarcks,
dem daran liegen musstc, dass man in Paris nicht eher
etwas von dem jetzigen Stande der Kandidatur erfuhr,
als bis Prinz Leopolds Wahl zum Könige durch die Cortes
vollzogen und damit ein fait accompli geschaffen war,
nach welchem ein französischer Einspruch den Spaniern
als grobe Missachtung ihres Selbstbestimmungsrechtes
erschienen wäre und auch bei andern Mächten als arge
hängigen Nachbarvolkes Miss fallen und Miss trauen erregt
hätte. Deutschland, so haue man in Berkn sagen können,
soll sich nicht die Gestalt geben dürfen, die ihm passt,
Spanien nicht den König, den die Volksvertretung will,
Beides blos, weil es den Franzosen nicht beliebt. Die
Ucbcrraschung aber, die hiermit den Pariser Machthabern
zugedacht \i-:ir,mi.ssyiii(:kie . int- Agc. eines Miss 1 , erstiindnisse.s
der chiffrirten Depesche, mit welcher Salazar seine baldige
Rückkunft angezeigt hatte, fand er die Cortes bei seinem
Eintreffen auf drei Monate vertagt, l'rim musste sie zur
Königswahl erst wieder einberufen , er bestimmte den
17. Juli zur Sitzung, und da es ihm nicht mehr möglich
oder nicht mehr nöthig erschien zu schweigen, so theilte er
die Kandidatur des Hohcnzollerschen Prinzen, und dass
er eingewilligt habe, dem französischen linl-chaker Vlercior
mit, und dieser berichtete darüber seiner Regierung. Die
Frage, die sich bisher, bald gegen, bald nach Bismarcks
Wunsch, sehr langsam entwickelt haue, kam mm in raschen
Fltiss, wozu Gramonts Preussenhass, sein geringes Geschick
und seine undiplomatische Hitze, weiche die immerhin
noch mögliche Verständigung vereitelte, sowie die bigotte
S7 —
j >enkart i.U:r Kaiserin Eiiyeiiie rnehi beitrügen der kriink-
liclic und selten ungestüm vorgehende Kaiser.
Gramont gehörte zu dem Glücke, das Bismarcks
All fiir die Einigung Deutschlands begleitete : dass
er dessen Natur erkannt und in seine Rechnung ein-
gestellt hatte, war das Verdienst seines Genies. Er sollte
jetzt haben, was er gewollt, als er die Kandidatur des
Hohenzollerschen Erbprinzen mit allem Eifer und Nach-
druck gefördert hatte. Sein Plan war gelungen — wenn
nicht noch in letzter Stunde ein neues Hinderniss die
Falle mit dem Köder vom Zuschlagen abhielt, d. h. wenn
nicht die unentschlossene Art seines alten Herrn und
Gebieters versagte und den günstigsten Moment ver-
säumte.
In Paris wirkte die Nachricht von der Annahme des
Primschen Antrags durch Prinz Leopold und der Billigung
derselben durch den König ungefähr wie rothes Tuch,
das einem schon aus anderm Grunde sehr übellaunigen
Stiere vorgehalten wird. Man sah — wie der deutsche
Kanzler bei der Natur der Franzosen überhaupt und bei
ihrem verblendeten Grolle seit Königgrätz hatte ver-
muthen können , nicht auf die nahe Verwandtschaft
Napoleons und die sehr ferne König Wilhelms mit dem
Thronkandidaten, sondern dachte sicli einen Hohenzollcrn
mit der Krone Spaniens als eine Wiederkehr Karin des
Fünften, oder that wenigstens so. Man hatte jetzt den
ersehnten Vorwand vermeintlich in bester Form; denn
ganz Europa musste sich mit Frankreich über Preussens
Begier nach Machtzuwachs ängstigen. Und es galt, rasch
Halt zu gebieten und etwa im Finstern geplanten weitern
Bedrohungen des europäischen Gleichgewichts im voraus
ein Ende zu machen, zumal da die Gelegenheit günstig
schien, indem König Wilhelm noch in Ems verweilte und
Oigitizea Dy Google
g. Juli verlangte man, dass er Europa beruhige, indem
er dem Prinzen Leopold gebiete, von seiner Kandidatur
zurückzutreten, ein Verlangen, dem eine kaum verhüllte
Kriegsdrohung im Gesetzgebenden Körper und eine ganz
ausdrückliche dem preussi sehen Gesandten gegenüber
vorausgegangen waren. Der König erwiderte dem Bot-
schafter Bencdetti, der mit seiner Bedrängung beauftragt
sich an die Madrider Regierung wenden und
stimmen, von dem Projekte abzustehen. Am 1 1
holte Bencdetti die Forderung seines Kaisers,
traf in Ems die telegraphische Nachricht ein, (
habe sinne fri'ihi'ri- Kinwillt^ung zurück Li'.rii' um
damit schien der Streitfall erledigt zu sein. J,
ir die fernere Zumuthang hinzufügte, der
den Verzicht des Erbprinzen ausdrücklich
ind sich überdiess verpflichten, einer Wieder-
er Bewerbung Leopolds um den spanischen
ds seine Zustimmung zu ertheilen.
A'ilhelm hatte bisher in der Angelegenheit
it mehr, als seinem obersten Rache lieb war,
1, ,,um Deutschland die Uebel eines Krieges
". Dieser letzten Dreistigkeit aber konnte
— 89 —
er sich schlechterdings nicht fügen , und nunmehr mag
Bismarck selbst das Weitere berichten. Am 19. Oktober
1877 erzählte er uns in Varzin im Anschlüsse an die Er-
wähnung des Gespräches während der Eisenbahnfahrt
von Jüterbog nach Berlin zunächst von den ersten Be-
sprechungen des Königs mit Benedetti, dann über den
weitem Verlauf der Angelegenheit Folgendes:
„Da merkte man bald" (ich gebe seine Worte ganz
und ohne Zuthat wieder , wie sie fielen) „dass er zu
kneifen anfing und ein Olmütz eingesteckt hätte. Ich
war damals in Varzin, und als ich auf dem Wege nach
Berlin durch Wussow fuhr, stand der Pastor in seiner
Thür und grüsste. Ich that einen Schwadronhieb in die
Luft, zum Zeichen, dass es jetzt losginge. Aber in Berlin
(dem Könige Wilhelm), wenn er Benedetti noch einmal
empfinge, so bäte ich um meine Entlassung. Als keine
Antwort kam, telegraphirte ich, wenn er jetzt Benedetti
empfangen hätte, so betrachtete ich das, als ob er meine
Entlassung angenommen hätte. Da kam das zweihun-
dert Zeilen" (er meinte wohl Worte) „lange Telegramm
von Abeken. Darauf liess ich mir Moltke und Roon
kommen, zu einem Essen zu Dreien, und theilte ihnen
mit, wie die Sachen stünden. Roon war ausser sich. So
auch Moltke. (Er sah plötzlich ganz alt und gebrech-
lich aus", hatte der Kanzler bemerkt, als er in Versailles
von dem Vorgange gesprochen.) „Ich fragte Moltke,
ob wir zu einem solchen Kriege in guter Ordnung wären.
Er erwiderte , nach menschlichem Ermessen hätten wir
Hoffnung, zu siegen. Da machte ich, ohne ein Wort
des Königs zu ändern, aus den zweihundert Zeilen zwan-
zig und las es ihnen vor. Sie sagten, so würde es sich
machen, und nun liess ich es an alle unsere Gesandt-
Digitized Dy Google
wirklich : die Franzosen nahmen es ungeheuer übel."
Bei der Bedeutung dieses Vorfalls für den Zweck
unseres Kapitels sei es erlaubt, noch zwei andere Be-
richte über denselben anzuführen, die ihn ergänzen und
das Verdienst Bismarcks deutlicher beleuchten.
In meinem Tagebuch finde ich ein Versailler Tisch-
gespräch vom ]g. Dezember 1870, wo es hebst: „Der
Geheimrath *) kam dann auf die Vorgänge, die in Ems
kurz vor Ausbruch des Krieges stattgefunden hatten, und
erzählte, der König habe nach , einer gewissen Depesche'
geäussert: ,Na, nun wird auch er (Bismarck) mit uns
Kanzler lächelnd, ,da dürften Sic sich denn docl
Das heisst, ja, mit Ihnen sehr. Mit Serenisi
gar nicht sehr oder durchaus nicht. Er hä
der Sache viel vornehmer betragen müssen —
Uebrigens, ich besinne mich 1 , fuhr er fort, ,
Varzin die Nachricht bekam. Ich war gerade ai
und wie ich zurückkam, fand ich das erste 1
Wie ich dann abreiste, fuhr ich bei unseren 1
machte es blos so — (Bewegung eines Kreuzhiebes)
Einhauen! Er verstand mich, und ich fuhr weiter.' Er
erzählte dann von den Schwankungen der Sache bis zu
einer gewissen Wendung, auf welche die Kriegserklärung
gefolgt sei. ,In Berlin hoffte ich wieder ein Telegramm
vorzufinden, Antwort auf meins, aber es war noch nichts
*) Abeken.
da. Inzwischen lud ich mir Moltke und Roon für den
Abend zum Essen ein und zu einer Besprechung über
den Stand der Dinge, der mir immer mehr Bedenken
erweckt hatte. Da wurde das . lange neue Telegramm
gebracht. Als ich's vorlas — es waren wohl zweihundert
Worte — erschraken die Beiden förmlich, und Moltke
kriegte plötzlich ein ganz anderes Wesen, ganz alt, matt
und gebrechlich. Es sah aus , als wenn Serenissimus
immer noch kneifen könnte. Ich fragte ihn, ob Alles so
stünde, dass wir auf den Sieg hoffen konnten. Als er's
bejahte, sagte ich; , Warten Sie mal 1 , setzte mich an ein
Tischchen, strich es zusammen, die zweihundert Worte
zu ungefähr zwanzig, aber ohne sonst was zu ändern
odur l)iimizuse;z(_*li. Es war Aljckcns Tdoyrmnm, und
doch was Anderes, kürzer, bestimmter, zweifelloser. Ich
reichte es ihnen hin nnd fragte: ,Nun, wie ist's jetzt?' —
Ja, so wird's gehen', sagten sie, und Moltke war auf
einmal wieder jung und frisch wie vorher. Er hatte
nun seinen Krieg, sein Gewerbe. Und es ging wirklich.
Die Franzosen nahmen das abgekürzte Telegramm, als
es in den Zeitungen erschien, ganz erschrecklich übel,
und nach einigen Tagen erklärten sie uns den Krieg.'"
Die andere Ergänzung entnehme ich einem Artikel
der Neuen Freien Presse vom ai. November 1892, dessen
Inhalt im Wesentlichen vermuthlich die Wahrheit bringt,
während die Form, namentlich wo Bismarck von sich
selbst erzählt, vom Verfasser mit Zuthaten seines eigenen
zeitungsgerechten Stils und Geschmacks versehen worden
ist. So sprach der Kanzler im Privatleben nicht ; so ge-
schmückt und pathetisch konnte er nicht sprechen.
Es ist also Retouche, die den Werth des Ganzen eher
vermindert als vermehrt, und die wir uns lieber hinweg-
denken wollen. Der Gewährsmann des Blattes ist ein
Berliner Parlamentarier, der den Bericht, den er mittheilt,
König war in Ems, ich war in Varzin, als in Paris der
Spektakel wegen der Kandidatur drs Erbprinzen Leopold
von Hohenzollern auf den spanischen Thron losbrach.
Die Franzosen benahmen sich so kopflos wie möglich.
Allen voran diu Regierung in:' OlüviiT an dii Spitzt-,
welcher der Situation in keiner Weise gewachsen war
und nicht ahnte, was er mit seinen unvorsichtigen Prah-
lereien im Gesetzgebenden Köi'pi'i anrichtete. Die Situa-
tion lag für uns damals .-.i—ei -i günstig. Wir waren
thatsächlich die Provozirten, und da die Notwendigkeit
einer Auseinandersetzung mit Frankreich uns Allen längst
klar war, erschien der jeuige Augenblick mm Losschlagen
sehr geeignet. Ich verliess also Varzin, um mich in
Berlin mit Moltke und Roon über alle wichtigen Fragen
auszusprechen. Unterwegs erhielt ich die telegraphische
Mittheilung , Fürst Anton von Hohemollern hat um des
lieben Friedens willen die Kandidatur seines Sohnes
Leopold zurückgezogen. Tüs ist Alles in schönster Ord-
nung. Ich war von dieser unerwarteten Lösung ganz
so günstige Gelegenheit darbieten? Als ich in Berlin
eintraf, rief ich Roland*) und sagte ihm: Telegraphiren
Sie nach Hause, dass ich in drei Tagen zurückkomme.
Zugleich reichte ich in einer Depesche nach Ems bei
Sr. Majestät meine Emiassimg als Ministerpräsident und
Bundeskanzler ein. Ich erhielt darauf eine Depesche
vom Könige, ich sollte nach Ems kommen, ich hatte
mir die Situation längst klar gemacht und sagte mir:
") EreL« espeilirenüer SekivCir im Omrnlburenu ,[[■- AuMianijreti
Oigitfzed Dy Google
wenn ich nach Ems gehe, wird Alles verzettelt, wir
komme!] im günstig:;lcn Falk: zu einem faulen Korn-
promiss ; die allein mögliche, die allein ehrenhafte und
grosse Lösung ist dann ausgeschlossen. Ich muss thun,
was ich thun kann , um Se. Majestät nach Berlin zu
bringen , wo er den Pulsschlag des Volkes deutlicher
fühlen wird, als es in Ems möglich ist. In ehrerbietigster
Weise motivirte ich mein Nichtkommen : ich sei in Berlin
unabkömmlich. Zum Glück thaten inzwischen die Qber-
miUhi;; !;ew<>i denen und kei?.;iditi>_(en Franzosen Alles,
um den Karren wieder zu verfahren. Sie liessen an den
König das Ansinnen stellen, einen Brief zu unterzeichnen,
der einer tiefen Demülhiimne; gleichkam. Der Küm»
f'raytt: midi telejM-aphisch um meinen Kath, um! ieli ati:.-
wortete mit bestem Gewissen ; Die Unterzeichnung ist
unmöglich. Ich hatte am Abend des 14. Juli*) Moltke
und Roon zu Tische geladen , und wir besprachen alle
Eventualitäten. Wir alle [hellten die Hoffnung, dass das
thörichte Vorgehen Frankreichs , das an imsern König
gestellte Ansinnen die Gefahr eines schwächlichen und
unrühmlichen Ausganges noch beseitigen werde. Da
traf, während wir noch bei Tische sassen, eine Depesche
aus Ems ein. Die Depesche begann mit den Wullen
(„ungefähr", wird der Erzähler gesagt haben; denn aus-
wendig gelernt hatte er sie vermuthlich nicht) : .Nach-
dem die Nachrichten von der Entsagung des Erbprinzen
von Hohenzollcrn der kaiserlich französischen Regierung
jestät die Forderung gestellt, ihn zu autorisiren, dass er
nach Paris telegraphirc , da~s Se. Maiesrat sich i'iir alle
*) Ks war der [3., also Tnjjs vorher.
Zukunft verpflichte, niemals wieder seine Zustimmung zu
geben, wenn die Hohcnzollem auf ihre Kandidatur zurück-
kommen sollten. 1 Dann folgte eine längere Auseinander-
setzung. Der Sinn war etwa, dass der Kiiiiij; sich ;uif
das berufen habe, was er bereits dem Grafen Henedetti
mitgetheilt habe. Graf Benedetti habe diese Rück-
äusserung dankbar entgegen genommen , und er würde
sie seiner Regierung übermitteln. Indessen erbat Bene-
detti noch eine Zusammenkunft mit Sr. Majestät , sei es
auch nur, um sich noch einmal mündlich bestätigen zu
lassen, was von Sr. Majestät an der Brunnenpromenade
geäussert worden war. Dann hicss es weiter: ,Se. Ma-
jestät lehnte jedoch ab , den französischen Botschafter
noch einmal zu empfangen, und liess demselben durch
dem Botschafter nichts weiter mLuttirilen.' Als ich die
Depesche verlesen hatte, liessen Roon und Moltke gleich-
zeitig Messer und Gabel auf den Teller fallen und rückten
vom Tische ah. Es entstand eine lange Pause. Wir
Alle waren tief niedergeschlagen. Wir hatten die Em-
pfindung: die Sache verläuft im Sande. Da stellte ich
an Moltke die Frage: >Ist das Instrument, das wir im
Kriege brauchen, ist unser Heer wirklich so tüchtig, dass
wir mit grösster Wahrscheinlichkeit auf einen guten Er-
folg den Krieg aufnehmen können?' Moltke war felsen-
fest in seinem Vertrauen. ,Wir hahen nie ein besseres
WYrkzeilE; l;i:I);i!>;- als :u dk'svin Aul;i ida- 1 , .-a^tc er.
Roon, zu dem ich freilich weniger Vertrauen hatte, be-
stätigte Moltkes Worte vollkommen. ,Nun, dann essen
Sie ruhig weiter', sagte ich zu den Beiden. Ich setzte
mich an einen kleinen runden Marmortisch, der neben
dem Speisetische stand, las die Depesche aufmerksam
durch, nahm meinen Bleistift und strich die ganzen
Zwischensätze über Benedettis Bitte um eine nochmalige
Audienz und so weiter fort. Ich liess ebi'n nur Kopf
und Schwanz stehen. Nun sah dir Depesche allerdings
etwas anders aus. Ich las sie in dieser neuen Fassung
Moltke und Roon vor. Beide riefen: .Herrlich, das
muss wirken!' Wir assen mit bestem Appetit. Ich gab
sogleich die Weisung , die Depesche durch das Tcle-
graphenburcau an alle Zeitungen und alle Missionen auf
dein schnellsten Wege zu versenden. Und wir waren
noch zusammen, als wir schon von der Wirkung, welche
die Depesche in Paris gemacht hatte, die erwünschte
Nachricht erhielten. Sie hatte wie eine Bombe ein-
geschlagen. 1 "
Ein Kommentar zu dieser Entwickelung von dem
Briefe an, den Bucher in den Ostcrfasten in Madrid ab-
gab, bis zu dem durch Bismarck verkürzten Emser Tele-
gramm Abckens erscheint nicht erforderlich. Der Ein-
druck, den der Hergang macht, wird auch nicht oder
kaum erheblich verändert, wenn wir die Abekensche
Depesche mit dem Bismarckschen Auszuge daraus zu-
sammenhalten, selbst wenn die am 23. November 1892
vom Grafen Caprivi dem Reichstage vorgelesene Ab-
schrift nicht blos, wi
e er sagte,
„acht",
sondern auch
vollständig gewesen -
sein sollte.
Nach i
hm hätte das
Telegramm Abekens 1
blgendermas
„Se Majestät dei
■ König sein
r : Graf Bene-
detti habe auf der Pr
omenade aul
' zuletzt
sehr zudring-
liehe Weise verlangt,
er solle ihn
telcgraphiren , dass er
in Zukunft
seine Zustim-
mung geben werde, wenn die Hohenzollern auf ihre
Kandidatur zurückkommen. Sc. Majestät habe zuletzt
etwas ernst erwidert, dass er diese Zusage nicht geben
könne und dürfe. Er habe übrigens noch nichts über
Ew. Excellenz das Ersuchen,
dettis und ihre Zurückweist! n
(li-sandtHchafti'ii :ils der Press
Sybd giebt den Wortlau
dtrs an. Abelen idi.'^niphir
nichts weiter zu sagen habe. Se. Majestät stellt Ew. Ex-
cellenz anheim, ob nicht die neue Forderung Benedetlis
um i nnsfiv 7,u: i'ii'kwiis 1 . ><i;iii-ioh sowohl uus^rn Gcsaisill-
schaften als- in der Presse mitgetheilt werden soll!"
Der König hatte sich also nach einem so unver-
schämten Ansinnen überhaupt noch auf ein Gusjjräch
mit Benedetti eingelassen,*) seine Regierung zu ent-
schuldigen versucht und sich wahrscheinlich Raths er-
holt, ob er den Franzosen weiter empfangen sollte! Er
befahl nicht die Veröffentlichung der Depesche, sondern
stellte sie nur anheim.
Aus Sybels oder Caprivis Text entstand unter dem
streichenden Bleistifte den Kanzlers das Nachstehende:
Telegramm aus Ems. 13. Juli 1870. Nachdem die Nach-
richten von der Entsagung des Erbprinzen von Hohen-
zollern der kaiserlich französischen Regierung von der
königlich spanischen mil^iaheill worden sind, hat der
französische Botschafter in Ems an Se. Majestät den
König noch die Forderung gestellt , ihn zu autorisiren,
dass er nach Paris telegraphire , dass Se. Majestät sich
für alle Zukunft verpflichte , niemals wieder seine Zu-
stimmung zu geben , wenn die Hohcnzollern auf ihre
Kandidatur zurückkommen sollten. Se. Majestät hat es
darauf abgelehnt, den franzosischen Botschafter noch-
mals zu empfangen, und demselben durch den Adjutanten
vom Dienst sagen lassen, dass Se. Majestät dem Bot-
schafter nichts weiter mitzutheilen habe," Bismarck ist
und bleibt also der Seelenarat Kaiser Wilhelms, der
Mann, der ihn ergänzte, ermuthigte und stützte, auch in
diesem Falle. Ohne ihn wäre der Krieg, dem das
*] Er hatte diu Unterredung auf der Pronitnadu nach Benedetlis
spatere liericlil selbst' erSAhet
— 98 —
deutsche Reich entspross, nicht zu rechter Zeit aus-
gebrochen, und wir hätten noch die Mainlinie und wahr-
scheinlich m-b-.-n dem N T ordbim<!o uinen in-ui-n Rhi-in-
bund. Jener Scelenarzt ist Bismarck hierbei mit beson-
derer Intelligenz und Kni'rgii; i;c\v<'m-ti ; aber or ist es
bei jeder ( jea'u'ciilH'it gewesen, wo es einen jjrosseit
Entschluss 7U fassen, eine schwere Wahl zu treffen, einen
kühnen Griff zu wagen galt. Es gehört zu den liebens-
werthesten und vornehmsten Zügen des verewigten Kai-
sers, dass er dieses Verhältnis» neidlos erkannt und mehr
als einmal in schriftlichen Aeusserungen gegen seinen
Kanzler unbefangen und unzweideutig anerkannt hat.
In dem Briefe, mit dem er ihm am 26. Juli j8/2 zu
siriiier silbernen I loeb/eit »1 .u : ilii Ii:, -chrieli er ihm, ,,er
lasse Dankgchete zum Himmel steigen, dass Gott ihm
in entscheidender Stunde ihn an die Seite gestellt und
damit seiner Regierung eine Laufbahn eröffnet habe, die
weit über Denken und Verstehen gehe". Die Porzellan-
vase, welche das Schreiben als Geschenk begleitete, sei
„zwar von zerbrechlichem Material, solle aber in jeder
Scherbe dereinst aussprechen , was Prcussen ihm (dem
Empfanger) durch die Erhebung auf die Höhe, auf
welcher es jetzt stehe, verdanke". — Als Kaiser Wilhelm
zur Enthüllung des Denkmals auf dem Niederwald ab-
u-iseri wollte, fordert!: er t!i-n Kanzler brieflich auf, lii'V
Feier ebenfalls beizuwohnen, da er „fühle, dass das ein-
zuweihende Denkmal nicht sowohl ihm als dem Kanzler
jjelte". Das Original dieses kaiscräcaoii Han J = chrdljtrns
befand sich viele Jahre unter den Papieren des Fürsten,
ist aber seit einiger Zeit verschwunden.*) Dagegen ist
*] Bewcr, Bismarck im li.cidn.lage S. 7. Der Verfasser dieser
t'luRschrilt konnte .tic Koti* vom l-'Unlcii selbst haben.
Oigitized 0/ Google
folgendes Originalschreiben des Kaisers, das Aehnliches
ausspricht, in Friedrichsruh noch vorhanden;
. Ihren so lieben Brief, in welchem Sie mir leider,
wenn auch nicht unerwartet, Ihr Ausbleiben von der
Festlichkeit der Enthüllung des Denkmals auf dem
Nieder-Wald anzeigten, konnte mich wirklich nur
schmerzlich berühren, noch mehr aber ist dies der
Fall nach dem Gelingen dieser Feier. Dieselbe ist
eine der gelungensten , die ich je erlebt , durch An-
ordnung > Durchführung , Grandiosität des Denkmols
an sich, der unerwarteten Aufklärung des Wetters
und vor Allem durch die Gefühle, die namentlich die-
jenigen durchdrangen , die thatigen Amheil an den
Kämpfen und Erfolgen nahmen, denen das Gebilde
geweihet ist ! Zu diesen gehören nun hauptsächlich
Sie als Herbeiführer dieser mächtigen Ereignisse und
Leiter derselben zum grandiosen Frieden. Ihnen hier-
für öffentlich von Neuem meinen Dank und meine
Anerkennung auszusprechen, wäre meinem Herzen ein
dankbares Bedürfniss gewesen. Es sollte nicht sein,
aber gedacht ist Ihrer vielfach worden,"
Wie Bismarck solche Briefe unbegrenzter Hoch-
Schätzung und Dankbarkeit erwiderte und wie er über-
haupt seine Stellung zu dem Monarchen auffasste, wenn
er mit ihm selbst verkehrte , zeigt eine Reihe mir vor-
liegender Schreiben, mit denen er derartige Briefe seines
„Kaiserlichen Herrn" beantwortete, und von denen ein
besonders charakteristisches diesen Abschnitt beschliessen
möge. Es lautet, wie folgt :
Oigitized by Google
Friedrichsruh, 25. Dezember 18S3.
Eurer Majestät danke ich in Ehrfurcht und von
Herzen für das huldvolle Weihnachtsgeschenk und
insbesondere für die gnädigen Worte, welche dasselbe
begleiteten. Sie geben mir die volle BetVii.'di^uiiL;,
welche ich auf dem Niederwald empfunden haben
würde, wenn ich dem Feste hätte beiwohnen können.
Eurer Majestäl Zufriedenheit mit mir hat t'iir mich
höheren Werth als der Beifall aller Andern. Ich
danke Gott, dass er mein Herz so gestimmt hat, denn
Eurer Majcstäl Zufiiedc nln il habe ich ei werben können,
den Beifall der Andern aber selten und vorübergehend.
Ich danke aber auch Eurer Majestät für die Unwandel-
batkelt, mit welcher Ali< Thnch^tdie^lbeii mir in dem
Zeitraum von mehr als 20 Jahren, unbeirrt durch die
Angriffe meiner Gegner und durch meine eigenen mir
wohlbekannten Fehler, in den schwierigsten und in
den ruhigsten Zeiten stets Ihr Vertrauen bewahrt
haben und mir ein huldreicher Herr geblieben sind.
Wetter bedarf ich auf dieser Welt, neben Frieden mit
dem eigenen Gewissen vor Gott, nichts mehr. Gottes
Segen ist mit Eurer Majestät Regiment gewesen und
hat Eurer Majestät vor andern Monarchen, welche
Grosses ausgeführt haben, den Vorzug verliehen, dass
Allerhöchstdero Diener mit Dankbarkeit gegen Euere
Majestät auf ihre Dienstleistungen zurückblicken. Die
Treue des Herrschers erzeugt und erhält die Treue
seiner Diener. *|
*) Auf diixwll rüti macht*.' LiiiL.li ik-r Fürst am 20. Marz 1890 im
ilinlilkl um <lif .liLiii.ili^ri ['iLi-liLri'U' I1.-1111.lcr- amini-rk-ain.
Der Rest des Briefes , noch fünf oder sechs Zeilen,
enthält nur für unsern Zweck Gleichgültiges, Familien-
sachen, Stand der Gesundheit des Kanzlers und der-
gleichen mehr.*)
LI II H
kehr mit Bismarck und seinen Leuten, Ein Tagebuch der Jahre
1870 bis 1893" bringen.
vn.
Ein Rückblick auf die betrachtete Wirksamkeit und
vorzüglich auf den vorigen Abschnitt erinnert lebhaft an
einen Ausspruch Jesus Sirachs im 10. Kapitel seines Buches,
wo es u. A. heisst; „Es stehet in Gottes Händen, ob es
einem Regenten gerathe; derselbe giebt ihm einen löb-
lichen Kanzler. — Einem weisen Knechte muss der Herr
dienen, und ein vernünftiger Herr murrt nicht darum."
Kaiser Wilhelm, in dem sich diese Worte des alten jüdi-
schen Weisen verwirklichen, starb, und sein Nachfolger
hätte auch bei einem längern Leben, als ihm beschieden
war, verinulhÜL-h trotz dur ML'iniui^svi/rschiL'deiiheit, die
ihn als Ki'ini]ii'in?.L'ii ^■raimc /,eit vom Kanzler trennte,
den Rath seines grossherzoglicher Freundes aus Karls-
ruhe befolgt, der ihm kurz nach seinem Regierungsantritte
die Uebcrzcugung aussprach: „Ohne Bismarck kannst Du
nicht regieren." — Das wurde anders unter dem Regimen te
mit den Machtsprüchen: „Voluntas regis suprema lex
esto" und „sie volo, sie jubco, stat pro ratione voluntas".
Das krafiis;- aus^i/Liialete > u i tu^ 1^ u f'i'il) 1 , das sich hierin
äusserte, bedurfte keines Seelenarztes und ertrug auf die
Dauer keinen Mentor und Censor, der vielmehr bald als
Oigitized by Google
unbequem, als Last, als Hemmniss für genialen Flügel-
schlag empfunden wurde. Es duldete neben sich nur die
Subordination des Militärs, welche Befehle unbesehen
und anstandslos vollzieht uud vertritt. Der Kanzler war
zu dieser Rolle nicht zu haben. Er vermochte sie auch
nicht zu heucheln. Er durfte — mit gütigem Wohlnehmen
der Hofdienerschaft sei es gesagt — doch am Ende
auch einiges Selbstgefühl haben, und er glaubte sich vor
der Geschichte verantwortlich. Aus der Meinungsver-
schiedenheit in der einen und der andern Frage wurde
allmählich eine Entfremdung, die sich rasch zur Ver-
Ich bestrebe mich einer ruhigen Objektivität, ich
begebe mich des Unheils. Ich sitze gleichsam in der
Loge und sehe dem Drama zu, das sich nothwendig zur
Tragödie gestalten muss. Ich verbeisse den Ausdruck
von Gefühlen; denn ich bemerke neben sehr Verständ-
lichem auch Unbegreifliches. Ein selir starkes Selbst-
gefühl 7- B. lässt sich , sollte man meinen , nicht wohl
machen, sich den Beifall der Parteien zu erwerben.
Wenigstens wusste das Selbstgefühl der alten Fürsten
schlechterdings nichts von diesem Bedürfnisse; sie be-
ruhten auf sich selbst und brauchten nichts mehr.
Hier aber scheinen beide Gefühle neben einander vor-
handen zu sein: das olympische, wie wir's nennen wollen,
das keine Anerkennung bedarf und sucht, und das,
welches sie nöthig findet, herbeiwünscht und durch Ent-
gegenkommen gegen Andere erstrebt. Ein Problem, das
vielleicht die Mühe seiner Lösung lohnen würde , aber
auch zu bedenklichen Schlüssen führen könnte — selbst-
vorständlich nur die Leser, die illoyalen Vermuthungen
Raum zu geben geneigt wind.
Philosophiren wir also nicht weiter , rekapituliren
wir lieber, soweit es unsere Keuntniss der Hergänge
hinter den Codissen und andererseits gewisse Gesetzes-
paragraphen erlauben. Der Kaiser Wilhelm H. fasste
zunächst die Arbeitersache anders auf und an, als sein
oberster Rath nach seiner Erfahrung und Rechnung em-
pfehlen durfte. Man wollte die Sozialdemokraten ge-
winnen und entfremdete sich mit dem von vornherein
zum Misslingen verurtheilten Versuche weite Kreise der
hohem Bourgeoisie. Dazu kamen die statt der Wieder-
anstellung Puttkamers unerwartet erfolgende Wahl Herr-
furths zum Minister des Innern und ihr Grund, die von
diesem befürwortete liberale Landgemeindeordnung, die
nicht nach Bismarcks Sinne war, weil sie gegen Interesse
und Befugniss der grossem und mittlem Besitzer auf
dem Lande, der ,, Hauern", (lein ,, kleinen Manne" tu
viel Hir.rlu f.". ein räumte, die aber dem jungen Monarchen
bei den Liberalen und de:i untern Klassen der ländlichen
iV\ lilkeniny Po;>ulari(iit üü verilewsen seinen. Daran
schloss sich endlich der kaiserliche Be'fchl, der Bismarck
aufforderte, die Kabinctsordre vom 8. September 185z,
welche allein dem Ministerpräsidenten ermöglichte, das-
jenige Mass von Verantwortlichkeit zu ubernehmen, das
iliii; von der Vulki-verireuitikj und den Zeitungen an-
gesonnen wurde, aussei Kraft zu setzen und sich so in
-11:11111 Ar,M l> n -^cd seir.11 amtlicher. Wirksa-nke;i M.ilj. j r
.'■I 1 l ::. :i i.- ■ .. i :
L'ebe: den Fall I Je: rfurrh wii<: -.pavrr an andere
Stelle eingehender 2U sprechen sein. Hier soll nur etwas
(jt:;ani :i > .liier di :i Gaii); de-. Kurillikv-, 11: di r Ailicitci-
lache und über den Besuch Windthorsts beim Kanzler
mitgetheüt werden, der nachträglich unter den Ursachen
der Entwickclung zur Katastrophe erwähnt werden mnss.
Die kaiserlichen iir'asse vom 4. Januar 1H90, betreffend
die Verbesserung der Lage der deutschen Arbeiter (An-
regung einer Arbeiterschutzgesetzgebung) gingen dem
Kanzler zu weit. Die Grenze, bis zu welcher der Staat
den Forderungen der Sozialdemokratie entgegenkommen
konnte, ohne selbst in revuluri'Hiüres Fahrwasser zu ge-
rathen , war in der Botschaft vom 17. November 1S81
gezogen , welche liisir.ai cks soziale Rcl< irni einleitete.
Mit der Sicherstellung der Arbeiter gegen die Gefahren,
mit denen Krankheiten, Unfälle, Invalidität und Alter
sie bedrohten, war das in der Sache Mögliche ver-
wirklicht. Als Mann der Thatsachen , der die Dinge
nimmt, wie sie liegen, nicht, wie sie nach einer Theorie
sein sollten, als praktischer Politiker war Bismarck für
das Verlangen nach Einschränkung der Arbeitszeit (auf
Werkeltage oder auf eine gewisse Stundenzahl) und
Arbeitsgelegenheit (für Frauen und Kinder) nicht zu
haben; denn der Abkürzung- der Leistung entsprach
natürlich mit Notwendigkeit eine Verminderung des
Lohnes. Ehe dieses Axiom nicht widerlegt war, schuf
die Ideologie, von der jene Anträge ausgegangen waren,
für die Arbeiter ein Hemmniss freien Entschlusses, für
die Arbeitgeber Kürzung des Verdienstes bis zur Un-
fähigkeit, mit dem Auslande zu konkurriren — ein Scha-
den, der auch den Staat traf und schwächte. Diese in
langjähriger Beschäftigung mit der sozialen Frage ge-
wonnenen und bewährten Ueberzeugungen , die der
Kanzler schon 1885 vor dem Reichstage ausgesprochen
und geltend gemacht hatte, waren für ihn noch durch-
aus massgebend, als er gegen Ende Januar 1890 nach
längerer Abwesenheit in Friedrichsruh nach Berlin zurück-
— 106 —
kehrte und hier mit dem Plane zu den kaiserlichen Er-
lassen „überrascht wurde". Er hatte bis dahin be-
absichtigt, den Kampf mit der Sozialdemokratie, deren
Fuhrer, von der Unzufriedenheit der Masse lebend, alle
auf Besserung des Looses der Arbeiter abzielenden
staatlichen Massregehi als geringe Abzahlungen auf ihren
natürlichen Anspruch behandelten, aufzunehmen und sich
keine u falls ttliei weitere Xee.esl ;i:ii]e.iw in Lintel lv,i:vl
hingen einzulassen. Im Hinblick hierauf hatte er dem
Reichstage eine Vorlage zur Erneuerung des mit Ende
des September erlöschenden Sozialistengesetzes gemacht,
wobei er beim Kaiser und einigen Ministern anderer
Bewegung keine Frage des Rechtes, sondern eine Frage
der Macht, d. h. die Frage, ob es ihr gelingen würde,
stu einer staatsjjefährlichen Macht zu werden, und musste
so behandelt und entschieden werden, wenn Staat und
Gesellschaft mit Erfolg geschützt sein sollten; und des-
halb war ihm unverständlich, dass man die Frage, ob
das Sozialistengesetz erlöschen oder wieder aufleben
gelöst sehen wollte. Der Versuch, den Molarchen Tür
blieb Bismarck den Verhandlungen des Reichstags über
das Sozialistengesetz fern, „um nicht Anschauungen Aus
druck geben zu müssen, die denen einer massgebenden
Zukunft widersprachen". Der Kronrath vom 24. Januar,
in welchem die Entwürfe zu den Erlassen vorgelesen
wurden , zeigte dem Kanzler , dass die Mcinungsvcr-
seliirdenliei;, die /wischen ihm :md dem Monarchen
gebildet hatte , nicht mehr ausgleichbar war ; und um
nicht verantwortlich zu werden für Schritte , die zu
schwerem Schaden führen konnten , versagte er seine
Oigitized by Google
Wunsch des Kaisers nur noch der Ausarbeitung der
Erlasse, die dabei vielfach abgeschwächt wurden, und
denen der Kanzler die Befragung des Staatsrates und
die Berufung einer internationalen Konferenz hinzufügte,
indem er hoffte, es würden sich in diesen Körper-
schaften Sachkenner hören lassen, die zu weit gehende
Absichten der Vorlage für unausführbar erklärten. Mit
diesem Widerstreite der Ansichten und Ziele hing auch
zusammen, dass Bismarck um Entlassung als Handels-
minister bat , und lediglich der Gedanke an die nahen
Neuwahlen zum Reichstage hielt ihn ab, sich auch von
seinen übrigen Tostet) ziLriick/.uscielien ; es hülle iui<ii"mstij>
auf diese Wahlen gewirkt, „weil er sein Vermögen au
Erfahrung und Vertrauen Niemandem hätte übertragen
können". Die Wahlen bestätigten die Erwartungen am
Hofe, die Erlasse würden sie günstig beeinflussen, nicht,
wohl aber die gegenteilige Voraussage des Kanzlers.
Die Sozialisten zogen mit der allerdings nur halbwahren
Parole: Der Kaiser macht sich unser Programm zu eigen,
und unsre Forderungen sollen unter dein Einflüsse des
Reiches Gesetz und Recht werden, an die Stimmurne
und sahen sich dort durch viele gl aubens verwandte,
aber bisher unschlüssig gewesene Elemente verstärkt.
Die staatstreuen Parteien fühlten sich verstimmt und
entmuthigt. Das Ergebniss war ein erhebliches An-
wachsen der Opposition und der Rückgang der Kon-
servativen und der Gemässigt -Liberalen im Reichstage.
Dem gegenüber hätte es als Feigheit gedeutet werden
können, wenn der Kanzler seinen Entschluss, zurück-
zutreten, jetzt ausgeführt hätte. Pflichtgefühl und Ehre
geboten ihm vielmehr, wenigstens bis zum Anfange des
Sommers, wo die ins Auge gefasste neue Militär vorlade
— 108 —
im Reichstage durchgesetzt sein konnte, mit seinem An-
sehen und seiner Kraft an der Seite des Kaisers aus-
zuharren. Der Staatsrath wurde, nachdem er das Pro-
gramm für die internationale Konferenz zur Regelung
des Arbeit in iridis: i irllrn Anbii^'n ! .;:ui l.lei'gwerken
festgestellt hatte, am 28. Februar geschlossen, und der
Kanzler erliess noch 'die Einladung zur Versammlung,
die alsdann ihre Sitzungen auch unter seinem Dache,
aber schon nicht mehr unter seiner Leitung, sondern
unter dem Vorsitze dos neuen Handelsministers, v. Ber-
lepsch am 15. März eröffnete.
An demselben Tage fand eine UHterreduni; zwischen
Bismarck und Windthorst statt, die von letzterem er-
beten, vom Bankier Bleichröder vermittelt und vom
Reichskanzler , wie bisher jedem Abgeordneten , bereit-
derseiben zu erfahren, welche Stellung die Fraktion des
Centrum führers im neuen Reichstage einnehmen werde,
und erfuhr, dass man Rückkehr zu dem kirchlichen Zu-
stande vor 187 t zu erlangen gedenke. Von einem Ver-
suche zu einem Zusammenwirken der klerikalen Partei
mit dem Kanzler war nicht die Rede. Dagegen wurde
im weitern Verlaufe des Gesprächs; die il'"'^lichkei:
eines Kabinetswechsels berührt, und der ultramontane
Politiker bat dringend den Fürsten, im Amte zu ver-
bleiben, und empfahl Tür den Fall, dass er dennoch
gehen müsste , in Anbetracht der schwierigen Lage die
Wahl eines Militärs zum Nachfolger, wobei er den
General v. Caprivi als besonders geeignet bezeichnete.
Der Besuch des Führers der Klerikalen und der
Umstand , dass Blcichrödcr ihn vermittelt hatte , ver-
anlassten den Kaiser, dem Fürsten sein Befremden
darüber auszusprechen und ihm die Fortsetzung der-
Oigitizea D/C^oogle
artigen Verkehrs mit Abgeordneten ohne sein Vorwbsen
und seine Erlaubniss zu untersagen. Diess erschien
diesem als ,. Allerhöchste Controllc seines persönlichen
Verkehrs ausser Dienst , der er sieh nicht unterwerfen
könne", und damit war eine «eitere Steigerung der
Krisis eingetreten, zu der sich in dieser Zeit auf dem
Gebiete der auswärtigen Politik ein Vorfall gesellte,
welcher dem Kanzler den Beweis lieferte, dass er die
Ansichten und Absichten Sr. Majestät über die Stellung,
die im Osten einzunehmen sei, nicht mehr vertreten
könne, und ein kaiserliches Rillet an den Fürsten, das
Weisungen enthielt, die er nicht ausführen konnte, und
welches Vorwürfe aussprach, die ihm ,,ein unverdientes
kränkendes Misstiauen" bekundeten. Selbstachtung for-
derte nach solchen Kundgebungen fast unabweisbar zur
Erreichung seines Abschiedsgesuches auf, aber nach
reiflicher Prüfung des Für und Wider überwand er noch
einmal seinen Rntschluss zum Rücktritt und brachte sein
persönliches Gerahl seiner Pflicht gegen das Vaterland
zum Opfer. Es sollte das letzte sein. Fortan kam sein
Wille nicht mehr in Frage. Es war Zwang, aber zu-
gleich Befreiung, als man ihm am Morgen des !/. die
amtliche Aufforderung überbrachte, um seinen Abschied
einzukommen. Am Nachmittage versammelte er den
Ministerrath, um dessen Meinung über die Vorgänge der
letzten Tage zu hören. Einer der Herren Kollegen
meldete das stracks dem Kaiser, und so erfolgte noch
am Abend, abermals amtlich, die Mahnung des Mon-
archen, um die Erlaubniss zum Rücktritt zu bitten.
Dies geschah am 18. März 1S90, und der Rest ist
Schweigen, Nur der Wortlaut des Dokuments, mit dem
der Kanzler bei seinem Herrn und Gebieter seine Ent-
lassung beantragte , sei noch mit einigen kleinen Aus-
- 110 —
lassungen*) mitgetheilt, da volle Verschwiegenheit jetzt
keine Pflicht mehr ist, wohl aber dip Geschichte ihr
Recht beansprucht. Das Abschiedsgesuch lautet nach
einer im März 1891 zu Friedrichsruh genommenen
Kopie der Urschrift , die mir vom Kanzler selbst über-
geben wurde:
B(erün) ]8. 3. 90. Bei meinem ehrfurchtsvollen
Vortrage vom 15. d. M, haben Euere Majestät mir
befohlen , den Ordre - Entwurf vorzulegen , durch
welchen die Allerhöchste Ordre vom 8. September
1852, welche die Stellung eines Ministerpräsidenten
seine» Kollegen gegenüber seither regelt, ausser Gel-
tung gesetzt werden soll. Ich gestatte mir über die
Genesis und Bedeutung dieser Ordre nachstehende
allenmterthänigste Darlegung.**) Für die Stellung
eines ..Präsidenten des ^51;l:lL iin-.TÜsi irri.Mi):.' ■ war scur
Zeit des absoluten Königthums kein Iiedürfniss vor-
handen , und es wurde zuerst auf dem Vereinigten
Landtage von 1M47 durch die damaligen liberalen Ab-
geordneten (Mevisscn) auf das Bcdürfniss hingewiesen,
verfassungsmässige Zustände durch Ernennung eines
„Premierministers" anzubahnen, dessen Aufgabe es sein
viiirde, die ninlid::ichkdi . u.v i'ulink dos verantwort-
lichen Gcsammt-Ministeriums zu übernehmen und herbei-
zuführen und die Verantwortung für die Gesammt-
l£u6 ergänzen kann.
**) Uicsc war u. A. aus dem Grande geboten, «eil Sc. Majestät der
orH-iilMH bei suklien Vorlr:i:>'T] 'i[;;.-^en sein mii^e , und es denl Mnn-
»Khcn jederzeit i'm.taml , sifli j,'>';>L'ii <lL'-en und fttr ilai betreffenden
Ressortminister in entscheiden.
Oigitized 0/ Google
ergebnisse der Politik des Kabincts zu übernehmen.
Mit dem Jahre j 848 trat diese konstitutionelle Ge-
pflogenheit bei uns ins Leben, und wurden „Präsidenten
des Staatsministori ums" ernannt, wie Gral" Arnim, Camp-
hausen, Graf Brandenburg, Freiherr von Manteuffel,
Fürs: von Hohenzollern, nichl fi'ir ein Ressort, sondern
für die Gt-niinisiitpolitik des Kabinets , also der Ge-
sammtheit der Ressorts. Die meisten dieser Herren
hatten kein eigenes Ressort, sondern nur das Präsidium,
so zuletzt vor meinem Eintritt der Fürst von Hohen-
zollern , der Minister von Auerswald , der Prinz von
Hohenlohe. Aber es lag ihnen ob , in dem Staats-
nmihlen'.iui :tu<i drssmi ISividum l;<'h zheii MoTiüiehrn
diejenige Einigkeit und Stetigkeit zu erhalten , ohne
welche eine ministerielle Verantwortlichkeit, wie sie
das Wesen des Verfassungslebens bildet, nicht durch-
führbar ist. Das Verhältniss des Staatsministeriums
und seiner einzelnen Mitglieder zu der neuen Institution
des Ministerpräsidenten bedurfte sehr bald einer nähern
der Verfassung entsprechenden Re^ehins; , wie sie im
Einverständnisse mit dem damaligen Staatsministerium
durch die Ordre vom 8. September 1853 erfolgt ist.
Diese Ordre ist seitdem entscheidend für die Stellung
des Ministerpräsidenten zum Staats ministen um ge-
blieben, und sie allein gab dem Ministerpräsidenten
die Autorität, welche es ihm ermöglicht, dasjenige
Mass von Verantwortlichkeit für die Gesammtpolitik
des Kabinets zu itl n-niehrueri , weiches ihm im Land-
tage und in der öffentlichen Meinung zugemuthet wird.
Wenn jeder einzelne Minister Allerlincliste Anordnungen
extrahiren kann ohne vorherige Verständigung mit
seinen Kollegen , so ist eine einheitliche Politik , für
welche Jemand verantwortlich sein kann, nicht möglich.
i bleibt die- Möglichkei
Absolutismus ohne ministerielle Verantwortlichkeit
zurückkehrten. Nach den zu Recht bestehenden ver-
fassungsmässigen Einrichtungen aber ist eine präsidiale
Leitung des Minister - Collegiums auf der Basis der
standen, und auch darüber, dass jeder meiner Nach-
folger im Ministerpräsidium die Verantwortlichkeit
nicht würde tragen können, wenn ihm die Autorität,
welche die Ordre von 1852 verleiht, mangelte. Bei
jedem meiner Nachfolger wird dieses Bedürmiss noch
stärker hervortreten wie bei mir, weil ihm nicht so-
fort die Autorität zur Seite stehen wird , die mir ein
langjähriges Präsidium und das Vertrauen der beiden
hochseligen Kaiser bisher verliehen hat. ich habe
bisher niemals das Bcdürfniss gehabt , mich meinen
Kollegen gegenüber auf die Ordre von 1852 ausdrück-
lich zu beziehen. Die Existenz derselben und die
Gewissheit, dass ich das Vertrauen der beiden hoch-
seligen Kaiser Wilhelm und Friedrich besass, genügten,
um meine Autorität im Kollegium sicher zu stellen.
Diese Gewissheit ist heute aber weder für meine
Kollegen noch für mich selbst vorhanden. Ich habe
daher auf die Ordre von 1852 zurückgreifen müssen,
um die nöthige Einheit im Dienste Euerer Majestät
sicherzustellen.
Oigitized by Google
Au-: vorziehenden Gründen bin ich ausser Stande,
Euerer Majestät Befehl auszuführen , laut dessen ich
die Aufhebung der vor Kurzem von mir in Erinnerung
gebrachten Ordre von 1852 selbst herbeiführen und
kontrasigniren, trotzdem aber das Präsidium des Staats-
ministeriums weiterführen soll.
Nach den Mittheilungen, welche mir der General-
lieutenant von Hahnke und der Geheime Kabinets-
rath Lucamis gestern gemacht haben, kann ich nicht
im Zweifei sein, dass Euere Majestät wissen und
glauben, dass es für mich nicht mißlich ist, die Ordre
aufzuheben und doch Minister zu bleiben. Dennoch
haben Euere Majestät den mir am 15. ertheilten Be-
fehl aufrecht erhalten und in Aussicht gestellt, mein
dadurch noth wendig werdenden Abschiedsgesuch zu
genehmigen. Nach frühem Besprechungen , die ich
mit Euerer Majestät über die Frage hatte, ob Aller-
höchstdemselben mein Verbleiben im Dienste un-
erwünscht sein würde , durfte ich annehmen , dass es
Allerhöchstdemselben genehm sein würde, wenn ich
Hilf meine Stellungen m Allcrhöchstdcro Preussischen
Diensten verzichtete, im Reidisdienst aber bliebe, leb
habe mir bei näherer Prüfung dieser Frage erlaubt,
auf einige hedenk liehe Knn^e<p lenken dieser Theilimy
meiner Aemter, namentlich des künftigen Auftretens
des Kanzlers im Reichstage, in Ehrfurcht aufmerksam
zu machen, und enthalte mich, alle Folgen, welche
eine solche Scheidung zwischen Preusscn und dem
Reichskanzler haben würde, hier zu wiederholen.
Euere Majestät geruhten darauf zu genehmigen, dass
einstweilen Alles beim Alten bliebe.
Wie ich aber die Ehre hatte, aus einander zu
setzen, ist es für mich nicht möglich, die Stellung
— III —
eines Ministerpräsidenten beizubehalten, nachdem Euere
Majestät Tür dieselbe die capitis diminutio wiederholt
befohlen haben, welche in der Aufhebung der Ordre
von i8$2 liegt.
Euere Majestät geruhten ausserdem bei meinem'
ehrfurchtsvollen Vortrage vom 15. d. M. mir bezüglich
der Ausdehnung meiner dienstlichen Berechtigungen
Grenzen zu ziehen, welche mir nicht das Mass der
Beteiligung an den Staatsgeschäften, der Uebersicht
über letztere und der freien Bewegung in meinen
ministeriellen EiitschliesHimgen und in meinem Verkehr
mit dem Reichstage und seinen Mitgliedern lassen,
deren (dessen) ich zur Uebernahme der verfassungs-
Reichspolitik so unabhängig von der Preussischen xu
betreiben, wie es der Fall sein würde, wenn der Reichs-
kanzler der Preussischen Politik ebenso unbetheiligt
gegenüber stünde wie der Bayerischen oder Sächsischen
und an der Herstellung des Preussischen Votums im
Bundcsrathe dem Reichstage gegenüber keinen Thcil
hätte, so würde ich doch nach den jüngsten Ent-
auswärligen Politik, wie sie in dem Allerhöchsten Hand-
schreiben zusammengefasst sind, mit dem Euere Ma-
jestät die Berichte des Konsuls in — gestern be-
gleiteten,*) in der Unmöglichkeit sein, die Ausführung
') f>;i"L-lb<: .-iiii jnlzl mndi nidn /.in Vi:i. .Iii rill ii Inj , und
nach einer AndeuLun R des Fürsten ans dem Frühjahr 1S53 wäre wohl
noeh heult in HelrufT ,h:r VeniilaMiLiif,' die in den fii-dankenst riehen
Oigitized by Google
— 115 —
der darin vorgeschriebenen Anordnungen bezüglich der
auswärtigen Politik zu Ubernehmen. Ich würde damit
alle für das deutsche Reich wichtigen Erfolge in Frage
steilen, welche unsere auswärtige Politik seit Jahr-
zehnten im Sinuc der beiden hochseligen Vorgänger
Euerer Majestät in unsern Beziehungen zu unter
ungünstigen Verhältnissen erlangt hat, und deren über
Erwarten grosse Bedeutung mir — — nach seiner
Rückkehr aus — bestätigt hat.
Es ist mir hei meiner Anhänglichkeit an den
Dienst des königlichen Hauses und an Euere Majestät
und bei der langjährigen Einlebung in Verhältnisse,
welche ich bisher für dauernd gehalten hatte, sehr
schmerzlich, aus den gewohnten Beziehungen zu Aller-
höchstdemseiben und zu der Gesammtpolitik des Reichs
und Prcussens auszuscheiden, aber nach gewissenhafter
Erwägung der Allerhöchsten Intentionen , zu deren
Ausführung ich bereit sein müsste, wenn ich im Dienst
bliebe, kann ich nicht anders als Euere Majestät aller-
unterthänigst bitten, mich aus dem Amte des Reichs-
kanzlers, des Ministerpräsidenten und des Prcussischen
Ministers der auswärtigen Angelegenheiten in Gnaden
und mit der gesel/lidu-n Pension einlassen zu wollen.
Nach meinen Eindrücken in den letzten Wochen und
niicli dr:: Kröil nulluni. 1 1 i ■. ■ ich yi^cni dr;t Mittlieilungcn
aus Euerer Majestät Civil- und Militärkabinet ent-
nommen habe, darf ich in Ehrfurcht annehmen, dass
ich mit diesem meinem Entlassungsgesuch den Wün-
schen Euerer Majestät entgegen kommen und also
auf eine huldreiche Bewilligung mit Sicherheit rech-
nen darf.
üMKeilrikktt Viiisiclil Ktrallini, nt.m.bl iniwlscticti <!ic Hmuliurgrr „Ktil-
liüllunui-n" erfolgt sind.
8"
Oigiüzed by Google
— HG —
Ich würde die Bitte ' um Entlassung aus meinen
Aemterit schon vor Jahr und Tag Euerer Majestät
unterbreitet haben, wenn ich nicht den Eindruck ge-
habt hätte, d;iss es Euerer Majestät erwünscht wäre,
die Erfahrungen und die Fähigkeiten eines treuen
Dieners Ihrer Vorfahren zu benutzen. Nachdem ich
sicher bin, dass Euere Majestät derselben nicht bedürfen,
darf ich aus dem politischen Lehen zurücktreten, ohne
zu befürchten, dass mein Entschluss von der öffent-
lichen Meinung als unzeiti« verurthcilt wird.
(gez.) von Bismarck.
Oigitized by Google
Wir stehen vor dem Schlüsse. Ich habe gesagt,
ich wusste und musste, schwerlich mehr, als ich
rnhi-dun^ di^s.sdlien durch Miss^rit'fi: und riinschkgen
i Irrwegen zu warnen, mit Hülfe der Presse und An-
achen an Freunde und Verehrer , den einzigen ihm
it zu Gebote stehenden Mitteln, aufmerksam und un-
chrocken entsprochen. Daneben begann er eine Ar-
t, die das Gerücht seine Memoiren nannte, in der
;h die Gegei
schichte sein.
Zeit, vermochte sie aber nicht zu schreiben, und Lothar
Bücher, der ihm mit seinem reichen Wissen und seinem
sichern Urtheil zur Seite stand, und der dem Mangel
bis zu einem gewissen Grade abhelfen konnte , starb
ihm vor Vollendung des Werkes. In der übrigen Um-
gebung des Fürsten war -■■ man darf wohl sagen, selbst-
verständlich — kein irgend genügender Ersatz, und so
büeb die Arbeit ein Torso,' wenn auch ein vielfach inter-
essanter und werthvoller.
Dass das deutsche Volk, das wahre und eigentliche,
nicht das „Volk" der Zeitungsjuden, Kapläne und par-
lamentarischen Geschäftsleute, seinen Heros nicht ver-
gessen hatte, wie schnöderweise seine „Vertreter" im
Reichstage, die doch sonst so viele Worte für ihren
jämmerlichen Parteitrödelkram haben , dass es jetzt in
den? — rat Illing -ii- lii-iii-r in IS:;r]in hL . .tmili-lt]
Onkel Strebern,
Oigitized by Google
hell und w
weniger \
Drapirung der Omnipotenz, das politische Streberthum
da? seine]] Abschied als Wi>hlthat empfand , da dei
Untergang der Sonne seinem eigenen Pfenniglämpcher
urde Friedrichsr
Das klingt wi«
nig Ve
essen und ist, ohne Einschr
That nicht viel mehr als ein
unter den Pilgerzügen , welch
dieser Wallfahrtsstätte führten
eigentlichen Natur und der ein
viel Eitelkeit und Neugier, viel Reklame und
Trieb , mit der Mode zu gehen ; unzweifelha
sich namentlich unter den Veranstaltern , 1
Wortführern nahe Verwandte und Erben .
bahnen nach
ständniss der
des Kanzlers,
ehrung nicht k
mente", politis
lanten, die in J
Dergleichen ist
gelte
legenheiten
orkommai.
sache der Ausbreitung und Hebung des Sinnes für die
Aufgaben , Rechte und Güter der Nation durch den
— 120 —
Genius Bismarcks, die sich in den Massen fahrten nach
dem Sachsenwalde ausprägte, wird durch den Unistand,
dass es „gemischte" Gesellschaft war, die dort erschien,
im Grossen und Ganzen nicht verändert , geschweige
denn aus der Welt geschafft, und Verständige werden
damit vorliebnehmen.
Digiiized ö/ Google
T
■
■Iii!
bS9093542314a